Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
Sie spürte seinen keuchenden Atem auf ihrem Gesicht, ihrem Hals, in ihren Haaren. Sein übler Mundgeruch stieg ihr in die Nase, als er sie vorwärts um die enge Kurve führte.
Sie sah die Lichtreflexe der Lampen des vierten Stockes, die über den Rand auf die Fahrbahn fielen. Doch noch bevor sie dort ankamen, drehte er sie nach innen und schubste sie von der Auffahrt weg in die Dunkelheit.
Hier standen heute Abend nur zwei Autos. Es waren fünf fast leere Parkreihen. Kein Mensch war zu sehen. Kein Mucks zu hören.
Ein Déjà-vu.
Doch es war nicht die Angst jener Nacht, die sie wieder packte. Sie verspürte dieselbe rasende Wut wie damals, als das Schwein mit der Mütze ihr ins Ohr geflüstert hatte. Nun war sie wieder hier. Mit einem anderen Schwein, das ihr seinen Atem ins Gesicht blies und sie verletzen wollte.
Ihr Kampfinstinkt kam zurück.
Zu viele Männer hatten sie herumgeschubst. Sie war es leid, mit den Schäden zu leben, die sie verursacht hatten.
Ray hatte mehr als alle anderen angerichtet. Er hatte Menschen verletzt, die sie liebte. Und ihr gedroht, die beiden Menschen zu vernichten, die ihr am meisten bedeuteten. Dafür wollte sie ihn büßen lassen.
Als er sie herummanövrierte, sie gegen die westliche Wand drückte, die über die Fahrbahn ragte, von der Teagan gestürzt war, zog sie ihre gefesselten Handgelenke zur Brust und begann zu kämpfen. Mit ihren Schultern stieß und schlug sie zu.
Außer ihrem Keuchen und seinen schweren Atemzügen war alles still. Ihr Angriff lockerte seinen Griff in ihre Haare, und der Druck der Waffe ließ nach. Sie kämpften. Sie trat ihn mit den Füßen, wand sich unter seinem Griff.
Sie musste eine empfindliche Stelle getroffen haben. Er stöhnte und ließ mit einem Mal ihre Haare los. Gerade lang genug, dass sie Luft holen und ohne nachzudenken einen Fuß heben konnte, bevor er seinen Arm über ihre Brust schlug und die kalte Spitze der Waffe ihren Nacken berührte.
Sein Atem war heiß an ihrem Ohr. »Leg dich nicht mit mir an, du Schlampe.«
Das klang nicht wie Ray. Es klang kaum menschlich.
»Du hast dich widersetzt, das hast du jetzt davon.«
Er stieß sie vorwärts. Einen Schritt. Noch einen. Sein Oberschenkel dicht an ihrem, als tanzten sie. Er sprach, während sie sich bewegten, seine Lippen liebkosten wie ein Liebhaber ihr Ohrläppchen.
»Du musst zu mir kommen, wenn du Schutz brauchst.« Ein Schritt.
»Siehst du, was passiert, wenn du das nicht tust?« Noch ein Schritt.
»Du wirst meinen Schutz nicht mehr brauchen, wenn ich mit dir fertig bin.« Linkes Bein.
»Da wird nichts Schutzbedürftiges mehr übrig sein.« Rechtes Bein.
Sie waren nur noch wenige Meter vom Ende des Parkdecks entfernt. Kamen ihm mit jedem Schritt ein Stück näher. Vielleicht war es Teagan auch so ergangen, nur dass er diesmal einen Stock höher gegangen war, weil er geplant hatte, mehr anzurichten, als nur zu verletzen. Er würde sie über die Betonbrüstung schieben. Sie über das Geländer drücken. Es war hüfthoch. Bei seiner Kraft konnte er sie mit Leichtigkeit hinunterstoßen. Er konnte ihren Kopf runterdrücken, dann wäre sie nicht mehr in der Lage, sich zu bewegen. Sie konnte ihm alles Mögliche erzählen, wie viel Angst sie hatte, es über die Fahrbahn hinausschreien, bis es als Echo wieder zu ihnen zurückkam. Doch wenn er ihr nicht glaubte, wenn das alles war, was er wollte, bevor er sie umbrachte, oder wenn es ihm völlig egal war, konnte er einfach ihr Bein packen und sie über die Brüstung kippen. Einfach so.
»Ich will nicht meine Zeit verschwenden.« Schritt. »Um dich zu erziehen.« Schritt. »Du selbstsüchtige Schlampe.« Schritt.
Sie hörte ihm nicht mehr zu. Sie hörte ihn reden, lauschte aber den Worten ihres Vaters. Ihr seid die Zukunft. Du und Cameron. Schritt. Dafür musst du kämpfen . Schritt.
Das waren heute Abend seine Worte gewesen – und es gab noch viel mehr, an die sie seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Worte, die nicht für sie bestimmt gewesen waren, die sie aber dennoch gehört hatte . Ruhig bleiben. Erst denken, dann bewegen. Beweg dich und denk nach. Ein Kampf ist kein K.o.-Schlag . Das Boxhandbuch des Tony Wallace. Sie kannte es auswendig. Es war der Soundtrack ihrer Kindheit. Beweglichkeit. Fußarbeit. Kombinationen. Gelegenheit. Strategie. Sie hätte das Buch heute auch schreiben können.
Doch konnte sie jetzt den Vorgaben folgen? Mit fünfunddreißig? Mit einem gebrochenen Knöchel, der noch nicht ausgeheilt war? Mit
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