Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
tun.«
Als sie das sagte, klapperte die Tür hinter ihr, und sie zuckte zusammen. Ray stand in der Tür und zog sein kleines Notizbuch aus der Tasche seines Overalls.
»Hi, Liv. Ich habe gerade gesehen, dass du reingekommen bist. Ich nehme noch mal Bestellungen für das Mittagessen auf. Soll ich dir irgendwas mitbringen?«
Meistens drehte er am Morgen eine Runde durch die Büros und nahm Kaffeebestellungen entgegen oder später Bestellungen für das Mittagessen. Er tat das einfach so, ohne Geld dafür zu verlangen. Die Beschäftigten des Gebäudes ließen bei Lenny anschreiben, und Ray drehte einfach eine kurze Runde, wenn er Lust auf eine Pause hatte. Normalerweise saß er im Café an der Bar und quatschte den Bedienungen die Ohren voll, während sie die Bestellungen vorbereiteten, dann lieferte er alles auf dem Rückweg ab. Liv wusste, dass der Rechtsanwalt von nebenan gerne auf ihn zurückgriff. Genau wie Ally, wenn der Terminkalender ihrer Chefs voll war. Liv machte hingegen gerne den kleinen Spaziergang zum Café, es war ein guter Grund, um vom Schreibtisch aufzustehen, aber wenn sie viel zu tun hatte, war Ray praktisch. Er hatte in sein kleines Notizbüchlein alle gängigen Bestellungen notiert, man musste also nur »ja, bitte« sagen, schon kam zwanzig Minuten später ein cremiger Cappuccino oder ein Hähnchensalat.
»Ein Sandwich wäre toll, danke.«
Er notierte sich etwas in sein Büchlein, kam dann ins Büro und schlurfte einen Augenblick verlegen herum. »Teagan hat erzählt, dass du einen Brief bekommen hast.«
Liv sah Tee kurz an – gab es jemanden, dem sie es nicht erzählt hatte? »Ja, ein paar Zettel.« Sie erzählte ihm, wo sie den ersten entdeckt hatte und dass jemand den zweiten persönlich abgegeben haben musste.
Ray nickte und verkündete dann den dreien: »Es macht mir große Sorgen, wie sich das entwickelt. Ich habe allen Damen hier gesagt, dass ich jederzeit erreichbar bin und sie zu ihren Autos oder zur Bushaltestelle begleite.« Er sah Liv an. »Brauchst du mich heute Nachmittag?«
Sie versuchte ernst zu bleiben. »Nein danke, Ray, das ist sehr großzügig von dir. Ich bin sicher, dass die anderen es zu schätzen wissen. Nicht wahr, Teagan?« Sie sah sie demonstrativ mit einem »wehe, du lachst«-Blick an. Und sollte Teagan nichts weiter von ihr lernen – wie man sich im Berufsleben höflich verhielt, hatte sie ihr beigebracht.
»Ja, sehr großzügig, danke.«
Als die Tür hinter ihm wieder zuschlug, begannen Tee und Ally leise zu kichern.
»Mädels, macht euch bloß nicht über ihn lustig«, sagte Liv.
Sie ging zu ihrem Büro, steckte ihre Simkarte in das neue Handy und fand eine SMS .
Könnten Sie um 15:45 zu Hause sein? Daniel
Sie jubelte innerlich und antwortete. Ja, danke, danke noch mal!
Liv wartete an Kellys Tür, bis sie von ihrem Bildschirm aufsah. »Ich könnte einen Blick auf Neils Bericht werfen, während du arbeitest, oder? Fragen dazu kann ich dir auch später noch stellen.«
Kelly blinzelte ein paar Sekunden lang und starrte dann vor sich hin, als wäre sie in Gedanken noch immer ganz bei dem Projekt Toby Wright und bräuchte Zeit, um die richtigen Worte zu finden. »Oh, na klar. Ich dachte zwar, dass es besser wäre, wenn wir ihn gemeinsam durchgingen, aber …« Sie rollte mit ihrem Stuhl zur Seite und begann in ihrer Ablage zu kramen. »Ich meine, vermutlich wirst du aus den Zahlen zwar schlau, aber es wäre vielleicht besser, wenn …« Sie kramte in den Unterlagen neben dem Computer. »… du weißt schon, wir darüber reden würden, während wir es durchgehen.« Sie stand auf, öffnete ihre Aktentasche auf dem Schreibtisch und wühlte dreißig Sekunden darin herum. Dann sah sie Liv über den Kofferrand an. »Tut mir leid, ich habe ihn wohl zu Hause vergessen.«
Liv verzog das Gesicht. »Warum hast du ihn mit nach Hause genommen?«
»Na ja, ich wollte am Telefon mit dir darüber reden, aber Bess hatte Probleme bei den Hausaufgaben, dann ist es spät geworden, und ich konnte nicht mehr ordentlich denken.« Sie schien sich rechtfertigen zu wollen, wirkte aber auch ein wenig desinteressiert.
Es ging um ihre Bilanz, die sie brauchten, um herauszufinden, wie sie sich aus ihrer Finanzklemme herausmanövrieren konnten. Da gab es keinen Platz für Überdruss. »Bist du sicher, dass sie in Ordnung war?«
»Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Die stehen alle in der Bilanz.«
Liv biss sich auf die Unterlippe und wusste nicht, was sie davon halten
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