Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
besorgt, damit sie mehr als nur Cracker mit Käse anbieten konnte. »Ziemlich klein, nicht wahr?«
Sheridan lehnte sich gegen die Bank. »Im Vergleich zu Renwick Street, ja. Dafür hast du weniger zu putzen. Außerdem ist die Luft ohne Thomas gleich viel besser.«
»Findest du?«
»Definitiv. Reich mir mal die Gläser rüber.« Sie schenkte den Wein ein, schob Liv ein Glas hin und erhob ihres. »Prost. Auf den Neuanfang.«
Liv stieß mit ihr an. »Auf einen besseren Start.«
Sheridan zog ihre Stiefeletten aus und wollte offensichtlich Essen zubereiten. Sie kam um den Tresen herum. »Wo ist die Salatschüssel?«
Die Küche war winzig, aber sie hatten schon unzählige Male miteinander gekocht. Als sie sich vor fünfzehn Jahren kennengelernt hatten, hatten sie nichts, aber auch gar nichts gemeinsam. Sheridans Eltern waren Rechtsanwälte, sie war in einem luxuriösen Haushalt aufgewachsen und hatte eine Privatschule besucht. Schon als sie zur Uni kam, war sie so elegant und stilbewusst gewesen wie heute – und sie bewegte sich wie eine Prinzessin. Liv hatte sie ausgelacht, als sie zum ersten Mal beim Fußballtraining erschienen war. Das hatte die ehrgeizige Sheridan wütend gemacht. Doch beide waren Kämpferinnen, und jede hatte etwas, das die andere gerne haben wollte. Liv brachte ihr also bei, wie man wie eine Athletin lief, und Sheridan erzählte ihr alles über Klamotten, Haare und Make-up – all das eben, was Liv in der Wohnung über der Boxhalle nicht gelernt hatte.
Liv legte ein paar Hühnerbrüste in die Pfanne, und als sie später zusammen aßen, brachte Sheridan sie mit Geschichten aus der Nachrichtenredaktion zum Lachen. Es war schön, nette Gesellschaft im Haus zu haben. So kam sie sich wenigstens nicht wie ein verwaistes Elternteil vor.
Als sie sich bei ihrem zweiten Glas Wein unterhielten, fing Benny wieder an zu bellen. Es war nicht das gewöhnliche, ununterbrochene nächtliche Bellen, sondern eher ein wiederholtes Jaulen, bis Trevor die Fliegengittertür aufriss und ihm sein Fressen hinstellte.
Liv beobachtete die Schatten im Licht, das über den Zaun fiel. »Ich habe heute neue Vorhänge besorgt und gedacht, wir könnten sie heute Abend aufhängen.«
»Klar.« Sheridan legte Messer und Gabel quer über den Teller und die Serviette obendrauf. »Was ist das für eine Geschichte mit dem Kerl, der dich im Parkhaus gefunden hat? Ich kriege ihn einfach nicht an die Strippe.«
»Er ist großartig. Gestern kam er noch vorbei und hat neue Schlösser montiert.«
Sheridan hob die Augenbrauen. »Ich habe ihn nicht mal ans Telefon gekriegt und ihm überall Nachrichten hinterlassen. Ich habe sogar ein paar Leute mit dem Namen Beck aus dem Telefonbuch angerufen. Eine war seine Schwester. Sie hat gesagt, dass sie ihm meine Nummer geben würde, aber bisher hat er sich nicht gemeldet.«
»Was willst du denn von ihm?«, fragte Liv, stellte die Teller zusammen und schob sie über den Tresen.
»Na, wegen der Story. Gut, das war am Dienstag, aber du weißt schon, ein paar Worte mit dem barmherzigen Samariter, der dich gefunden hat, wären nicht schlecht gewesen. Dann habe ich ihn gegoogelt, um mir ein besseres Bild zu machen, und deshalb gestern noch einmal versucht ihn zu erreichen. Ich dachte, das könnte eine weitere Gelegenheit sein, um nach Zeugen zu suchen.« Sie hob eine Hand, als wollte sie eine Schlagzeile unterstreichen. » Der Held kommt wieder zum Einsatz . Hast du die gelesen?«
»Wo?«
»Im Internet. Hast du ihn nicht gegoogelt?«
»Nein. Er war nett, aber er hat sich doch nicht um einen Job beworben.«
Sheridan zuckte die Achseln, als mache das keinen Unterschied. »Man hat ihm vor ein paar Jahren eine Tapferkeitsmedaille verliehen.«
Liv blickte erstaunt auf, als sie die Spülmaschine aufmachte. »Schön, wenn man schon mal jemanden braucht, der einem hilft …«
»Absolut. Erinnerst du dich noch, als vor drei Jahren das Gebäude an der Central Coast eingestürzt ist? Er war beim Suchtrupp und hat diese Frau gefunden. Er hat sieben Stunden unter den Betontrümmern mit ihr ausgeharrt, bis man sie rausgeholt hat.«
Die Bilder des Unglücks waren überall in den Medien gewesen, gleich nachdem es passiert war, und dann noch einmal, als das gerichtliche Verfahren eingeleitet wurde. Liv erinnerte sich an sie – verdreckte Rettungsmannschaften, Flutlicht im Erdloch, blutverschmierte Gesichter der Opfer, eine baumelnde Trage am Ende eines Kranes, als die Frau mitten in der Nacht geborgen wurde.
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