Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
Sie musste an Daniel im Parkhaus denken. Er hatte entschlossen, diszipliniert und mutig gehandelt. »Montagnacht muss im Vergleich dazu ja ein Kinderspiel gewesen sein.«
»Die Tatsache, dass du überlebt hast und deine Geschichte erzählen konntest, hat ihm wahrscheinlich geholfen. Während man Daniel aus dem Loch zog, ist die Frau auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben.«
»Das ist ja furchtbar.« Er hatte zu ihr gesagt, er sei ihr zur Notaufnahme gefolgt, um sicherzugehen, dass sie irgendwie nach Hause käme. Vielleicht war er aber auch gekommen, um sich zu vergewissern, dass sie das Krankenhaus erreicht hatte.
Sheridan verteilte den restlichen Wein auf die beiden Gläser. »In dem Artikel stand, dass er ungefähr ein Jahr später die Bergungseinheit verlassen hat.«
»Kein Wunder, dass er sich beruflich verändern wollte. Wie oft kann man schon so etwas erleben, ohne psychischen Schaden zu nehmen?«
»Wie ist er denn? Auf den Fotos wirkt er ziemlich düster und grüblerisch. Einerseits der böse Junge, andrerseits der Superheld. Total attraktiv für ein alleinstehendes Mädchen wie dich.«
Liv räumte die Spülmaschine fertig ein und machte sie zu. »Von mir aus könnte er auch George Clooney sein.«
»Liv, es ist fast ein Jahr her«, sagte Sheridan nun ein wenig sanfter. »Du kannst doch nicht den Rest deines Lebens wie eine Nonne leben.«
Es war an der Zeit, das Thema zu wechseln. »Okay, er ist nett, das ist auch der Grund, weshalb ich mich ihm nicht an den Hals wünsche. Ich bin aggressiv und verkorkst, es würde böse enden. Durch mich würde er wahrscheinlich auch noch aggressiv und verkorkst werden.«
»Du könntest aggressiven, verkorksten Sex mit ihm haben.«
Liv verdrehte die Augen.
»Das kann auch Spaß machen.«
»Gib mir ein …«
Ein Geräusch im Garten ließ Liv ruckartig zur Schiebetür sehen. Das Geräusch war kurz, aber deutlich hörbar gewesen. Ein Klicken oder Klopfen. Dann knallte etwas Schweres auf die Steinplatten, und der Hund von nebenan fing an wie verrückt zu bellen.
Er war hier.
Sie stellte sich einen schwarz vermummten Mann vor, der auf ihr Fenster einschlug, trat einen Schritt zurück und machte sich auf splitterndes Glas gefasst. Doch es kam etwas viel Leiseres.
»Verdammt.«
Die Stimme eines Mannes. Laut genug, dass man sie trotz des Hundegebells hören konnte und dennoch halb geflüstert, als versuche der Eindringling leise zu sein.
Sie trat einen weiteren Schritt zurück und spürte die Wand im Rücken.
Irgendetwas knirschte, Kieselsteine auf einem Fußweg, dann am hinteren Fenster ein schwerer, dumpfer Knall. Die Schiebetür klapperte, und Furcht kroch über ihren Rücken.
Ein Schatten flitzte tief gebückt durch das Licht, das auf das alte Laken fiel. Er lief von hinten in Richtung Küche. Kurz darauf huschte eine Gestalt am Fenster vorbei.
17
Livs Blick flog zu Sheridan. Vielleicht lag es daran, dass sie Joggingpartnerinnen waren oder weil beide nur ungern eine Herausforderung sausen ließen, jedenfalls wirkte der Blick wie ein Startschuss. Sie sprangen gleichzeitig auf und liefen schnell und leise durch das Wohnzimmer.
Liv schnappte sich den Baseballschläger und griff nach der Sicherheitskette an der Haustür. Sheridan rannte zur Garagentür und kam mit dem Regenschirm zurück, den sie wie eine Keule hielt.
»Okay«, flüsterte sie.
Liv riss die Tür auf. Sie hatte noch nie Baseball gespielt, tat aber so, als würde sie den Schläger für einen Home-Run schwenken, falls das Schwein hier war und als Erster zuschlagen wollte. Doch da war niemand, nur das Licht von der Veranda schien herab. Dahinter lag die dunkle Einfahrt.
Ein metallenes Rattern war draußen rechts zu hören.
»Das Tor«, flüsterte Liv.
Sie trat in die kühle Nachtluft hinaus, fasste ihren Baseballschläger fester und sah an der vorderen Mauer entlang. Sheridan folgte ihr und hielt mit beiden Händen den Schirm vor sich.
Ein Schatten sprang vom Tor herunter und landete unglücklich auf dem Betonboden, dann hart auf den Knien, eine Hand rutschte über die raue Oberfläche.
»Hey!«, schrie Liv. Lauter und wütender, als sie sich tatsächlich fühlte.
An der Hausecke war es nicht hell genug, sodass sie nur kurzes, dunkles Haar, weiße Arme und rote Bekleidung sehen konnte, als der Mann sich halb zu ihnen umdrehte und dann zur Einfahrt lief.
Rachel Quests Worte klangen in ihren Ohren. Wählen Sie den Notruf, falls Sie ein Problem haben . O ja, sie hatte ein Problem. Er war hier.
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