Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
Schlag versetzt, Mrs. Prescott.« Sie lachte, Liv stimmte ein.
»Die Verletzungen haben auch dazu beigetragen, dass ihm klar wurde, dass er auf absehbare Zeit nicht mehr nach Hause gehen konnte, deshalb hat er den Überfall vergangenen Montag auf Sie und einen weiteren vor drei Wochen in Newcastle zugegeben. Man hat ihn deswegen angeklagt, allerdings haben wir noch Fragen zu zwei weiteren Überfällen und Stalking.«
Liv blieb an einer Ampel stehen und schloss erleichtert einen Moment die Augen. Sie hatte sich nicht unterkriegen lassen, und das hatte bei der Suche nach dem Täter geholfen.
»Die Frau hat letzte Woche Ihr Interview in den Nachrichten verfolgt und hat von einem Restaurant aus die Polizei angerufen. Vermutlich haben Sie verhindert, dass sie sein nächstes Opfer wurde. Darüber sollten Sie sich freuen.«
»Das tue ich auch. Es hat eben auch alles seine gute Seite.« Es war lange her, seit ihr etwas Gutes widerfahren war, woran sie sich festhalten konnte. Das gab ihr ein Gefühl von Hoffnung, ein Versprechen, dass ihr Leben nicht immer so katastrophal war, und das brauchte sie, wenn sie die nächste Zeit überstehen wollte. Sie stand knapp davor, das Letzte zu verlieren, was ihr noch geblieben war – ihren Vater und ihr Geschäft. Das war schrecklich. Es bedeutete Trauer und Schmerz, mehr, als sie sich ausmalen wollte. Doch wenigstens hatte sie eine Frau davor bewahrt, dass sie zusammengeschlagen oder sogar vergewaltigt wurde – und das in einer Woche, in der sie selbst kaum überlebt hatte, in der Sheridan fast nicht überlebt hätte. Es bestand also die Möglichkeit, dass da draußen noch etwas anderes Gutes auf sie wartete.
Vor der Arbeit fuhr sie im Hospiz vorbei. Sie wollte ihrem Vater erzählen, dass der Stalker gefasst war und dass er sich nicht getäuscht hatte, und ihn beruhigen, dass sein Mädchen auf sich selbst aufpassen konnte. Dieser Besuch galt also nicht nur ihm. Sie brauchte eine Dosis Mut, bevor sie Kelly gegenübertrat. Sie musste seinen Mut verpacken und für eine Zeit aufbewahren, in der er nicht da war und ihn verteilen konnte.
Er sah sie besorgt an, während sie erzählte. Vermutlich war es schwer für ihn, die Geschichte in der Vergangenheitsform zu hören und zu wissen, dass er tatenlos hatte zusehen müssen. Also fasste sie sich kurz und konzentrierte sich auf die Tatsache, dass es nun vorbei war.
Als sie fertig war, fragte er nur: »Liebes, gibt es sonst noch was?«
Er stellte die Frage nicht zufällig, denn er wusste, dass da mehr war. Also erzählte sie ihm von Kelly und dem Geschäft.
»Deine Augen sind rot«, sagte er.
Sie musste lachen. »Dad, was zum Teufel hat das damit zu tun, wie meine Augen aussehen?«
»Hast du getrunken oder geweint?«
»Ich habe gestern Abend ein paar Gläser Wein getrunken. Ein paar zu viel.«
»Bist du in Selbstmitleid zerflossen?« Er sagte es mit Bestürzung, als wäre die Vorstellung, den Kopf hängen zu lassen, etwas, das nur andere Leute taten.
Vor Scham senkte sie den Blick. »Ein bisschen.«
»Mädchen, du musst auf den Beinen bleiben.«
Das war Coaching, kein Trost, doch es fühlte sich nach Zuhause an. Wieder schluckte sie einen Kloß im Hals herunter. »Dad, das hat mich umgehauen. Ich möchte nicht von zu Hause aus arbeiten. Das ist kein Zuhause für mich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Steh wieder auf. Für einen kurzen Ausrutscher muss man sich nicht schämen, außer du willst nicht mehr aufstehen.« Sie schüttelte den Kopf, doch er unterbrach sie mit seiner rauen Stimme, die neue Kraft erlangt hatte. »Du stehst wieder auf. Schüttle den Kopf, atme tief durch, und bring deine Fäuste wieder in Position. Ich habe meiner Tochter nicht beigebracht, das Handtuch zu werfen.«
Sie verließ das Hospiz, als hätte sie an Riechsalz geschnuppert. Vielleicht hatte sie ja doch noch eine Runde, bevor Kelly sich mit Toby Wright traf. Sie wollte noch einmal ihre Lage darlegen und sie bitten, noch die Woche abzuwarten. Das Stalken war vorbei – es gab keinen Grund mehr, sich von irgendetwas ablenken zu lassen. Liv trug nun wieder ihren schmalen Rock und High Heels zum Zeichen, dass sie wieder im Rennen und startklar war.
Und sie fuhr wieder in das verdammte Parkhaus. Das Schwein war gefasst, er war in Polizeigewahrsam. Sie wollte nicht zulassen, dass die Erinnerung an ihn sie davon abhielt zu parken, wo es ihr beliebte. Sie fuhr in den zweiten Stock, fand einen Parkplatz in der Nähe der Fußgängerrampe, sah prüfend
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