Ich kann jeder sagen
die Beine übereinandergeschlagen, er saß mir halb zugewandt und wippte mit dem Fuß, während er mit dem Ausdruck wachsender Ungeduld das Handy an sein Ohr presste. Sein vor- und zurückzuckender Fuß kam mir immer wieder gefährlich nahe. Man saß sehr eng in der »Eisernen Zeit«. Ich zog meine Füße zurück und beugte mich etwas nach vorn. Jetzt hatte ich eine Haltung angenommen, die mehr ein Hocken als ein Sitzen war. Ich musste an Hockgeburt denken – dann an die Position eines Urmenschen im Hockgrab.
Die Wahrheit ist, dass das Kind nie existiert hatte.
Als Debbies Regel ausblieb, kaufte sie in der Apotheke drei verschiedene Schwangerschaftstests. Da war sie wieder ganz amerikanisch: check, recheck, double check. Alle drei waren positiv. Als sie mir dies mitteilte, war ich sprachlos – und hatte augenblicklich Bilder im Kopf, aber das Eigentümliche war, dass diese Bilder schwarzweiß waren wie ein sehr alter Film, den man schlaflos und mit betrunken-trübem Blick nach Mitternacht im Fernsehen sieht. Ich sah mich aufstehen, Debbie freudig umarmen, ganz der glückliche werdende Vater, gerührt, und für jeden Zuschauer rührend. Ich wusste: Genauso vorbildlich wie diese Bilder sollte ich jetzt wirklich reagieren. Aber da wurde der Film verschwommen, bis die grau wabernden Schatten wieder etwas schärfere Konturen bekamen, und ich sah, wie ich da saß und Debbie fragte, ob sie das Kind wirklich haben wollte. Ob es nicht gerade jetzt sehr ungünstig käme und ob sie nicht lieber abtreiben wolle. Nicht dass ich hörte, dass ich das sagte, ich sah mich vielmehr wie in Zeitlupe etwas sagen, Mund auf und zu, und ich wusste, dass es das war, was ich sagte. Aber waren das wirklich Debbie und ich in diesem alten Film? Plötzlich dachte ich: Das sind ja meine Eltern! Wie jung sie da waren!
Ich weiß nicht, wie lange diese Schatten vor meinen Augen tanzten, es kam mir sehr lange vor, aber es werden wohl nur ein paar Sekunden gewesen sein – und wahr wurden dann beide Varianten: Ich fragte Debbie, ob sie nicht abtreiben wolle, fühlte mich dabei augenblicklich wie ein Schwein, und als sie in Tränen ausbrach, stand ich auf, zog sie vom Küchenstuhl hoch, umarmte sie und sagte heroisch: Wir werden es schaffen!
Debbie entwickelte sehr rasch alle Symptome einer Schwangerschaft, von Übelkeitsattacken bis zu den Gelüsten. Ihr Bauch und ihre Brüste wuchsen. Bereits im vierten Monat musste ich Debbie in ein Fachgeschäft für Umstandsmode begleiten. Debbies Frauenarzt war mit dem Verlauf der Schwangerschaft sehr zufrieden. Wie im Bilderbuch, sagte er immer wieder, wie im Bilderbuch. Ich weiß nicht, welche Bilderbücher Ärzte haben, aber ich wunderte mich: Ich kannte Frauen, denen man noch im sechsten oder siebten Monat ihre Schwangerschaft nicht angesehen hatte. Aber Debbie war bereits im fünften Monat eine Schwangere, für die ältere Menschen in der Straßenbahn aufstanden. Und wenn sie am Abend ihre Stützstrümpfe von den Beinen schälte und ins Bett kam, legte sie ihre Hand auf den Bauch und sagte: »Oh mein God, es ist so aufregend. Ich kann ihn spüren!«
Alleine wie sie »aufregend« sagte: das -regend klang wie eine Adjektivform von Reagan.
Warum sagst du immer »ihn«?
»Ich denke, es wird ein Junge!«
Sichtlich genervt brüllte der Mann am Nebentisch: »Du musst endlich vernünftig werden! Du musst das Hirn ausschalten!«
Gegen Ende des sechsten Monats empfahl Debbies alter Frauenarzt eine Ultraschall-Untersuchung. Es könne da ein Problem geben, er wolle uns nicht beunruhigen, aber er sei sich in Hinblick auf die Lage des Embryos nicht sicher und schlage vor, eine medizinische Koriphäe zu konsultieren, um den bestmöglichen Befund zu bekommen. Dieser berühmte Arzt, bei dem er uns einen Termin verschaffen könne, nehme allerdings keine Krankenscheine, sondern müsse privat bezahlt werden.
Es war klar, dass ich bei Debbie mit dem Verdacht, dass sich Ärzte da Geschäfte zuschanzten und überbesorgten Patienten einfach das Geld aus der Tasche zögen, nicht durchkam.
Hatte deine Mutter eine Ultraschalluntersuchung, als sie mit dir schwanger war? Na eben. Meine Mutter auch nicht. Und da stehen wir mit geraden Gliedern und –
»Weißt du, an wen du mich erinnerst? An diese Idioten, die als Kinder geschlagen wurden und später sagen: Das hat mir auch nicht geschadet!«
So kam es zu dem Drei-Minuten-Film mit einem Phantom.
Es waren nur Schemen zu sehen, in verschiedenen Grauabstufungen, die langsam
Weitere Kostenlose Bücher