Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition)
lassen, was »man« tun sollte oder müsste, führt stets in die Sackgasse, wenn es nicht mit der eigenen Innenwelt übereinstimmt.
Als Starthelferin einer Neugründung im Immobilienbereich, als Mitinvestorin einer Internet-Plattform und als Partnerin eines Personal-Dienstleistungsunternehmens befand ich mich kurzzeitig auf beruflichen Abwegen. So lernte ich, dass es nicht ohne Blessuren geht, wenn man sich beruflich selbst finden will und dabei auf andere hört. Jeder, der laufen lernt, fällt ein paar Mal hin, bevor er sich sicheren Schrittes bewegt. Doch die Blessuren und Schrammen erwiesen sich als unbedeutend angesichts dessen, was ich verwundert und erstaunt über mich selbst herausfand.
Als Coach lebte ich zum ersten Mal den Großteil meines Wesens aus. Die intensive Arbeit mit den Menschen aus den verschiedensten Berufen, Unternehmen und Ländern begeisterte mich. Getrieben von einem unbändigen Wissensdurst erweiterte ich meinen Werkzeugkasten stetig: Quantenphysik, Kybernetik, Bioenergetik, Neurowissenschaften, Gehirn- und Bewusstseinsforschung, Psychologie, Philosophie, Yoga, Meditation, ganzheitliche Heilmethoden, Spiritualität, Mystik sowie Sprach- und Kulturkenntnisse. In Coaching-Gesprächen gab ich mein Wissen je nach Situation und Bedarf weiter. Weil mich meine Gesprächspartner immer wieder baten, all dies niederzuschreiben, entstand ein monatlicher Newsletter für rund 350 Leistungsträger in ganz Europa, in dem ich, verpackt in kleine Geschichten, Wissen, Weisheiten und Anregungen für den Arbeitsalltag weitergab. Es machte mir enorm viel Freude, die Texte zu verfassen und mich mit den eingehenden Bemerkungen und Kommentaren auseinanderzusetzen.
Meine Texte hielten mir aber auch vor Augen, was ich mir selbst nicht eingestehen wollte.
Wer zu sehr auf den Leistungsmenschen in sich fokussiert ist, vergisst, zu »sein« und sein Wesen zu leben.
Konkret hieß das für mich: Ich hatte mir nicht genug Zeit genommen für die Menschen, die ich liebte, Zeit für meine außerberuflichen Liebhabereien und Freunde, Zeit und Muße, zu reisen, zu schauen, zu staunen und die Welt zu erkunden.
Im Sommer 2008 endete die Beziehung zu meinen Mann als Ehepartner – nach 26 Jahren. Während unseres Urlaubs an der Küste der Normandie brach sich mein verletzlicher Teil in einer zutiefst banalen Situation völlig unerwartet mit einem Sturzbach von Tränen Bahn und ich sagte meinem völlig überraschten Mann, dass ich so nicht mehr weiter könne und wolle. Wir waren über die Jahre stillschweigend voreinander und vor den grundlegenden Konflikten in unserer Beziehung geflüchtet. Keiner konnte das Anderssein des anderen wirklich anerkennen und annehmen. In der Beziehung war jeder von uns innerlich weitergewachsen, allerdings ohne den anderen und allein mit seinen geheimsten Wünschen, Hoffnungen, Träumen, Bedürfnissen und Ängsten. Wir hatten einander nichts vorzuwerfen. Es gab nichts zu verzeihen und nichts zu beklagen, außer unserer jeweils eigenen Unfähigkeit, unsere Seelen vereint zu halten. Zurück in Belgien begannen Monate eines intensiven Dialoges zwischen uns beiden, der alle Ängste und wunden Punkte an die Oberfläche brachte. Wochenlang wussten wir nicht, wie es genau weitergehen sollte. Jeder brauchte seine Zeit, um in seinem eigenen Rhythmus mit dem Schmerz umgehen zu lernen und sich zaghaft daranzumachen, über ein berufliches und privates Leben ohne den anderen nachzudenken. In einem Punkt waren wir uns allerdings einig: Wir wollten alles bewahren, was wir noch gemeinsam hatten, und unsere Ehe liebevoll und dankbar loslassen.
Unerwartetes ereignet sich und wir begreifen oft erst Jahre später, wofür es gut war.
Jede Station meines Lebenslaufs hat in der Rückschau einen tieferen Sinn und bei Ihnen wird es auch so sein. Irgendetwas führte mich mit unsichtbarer Hand in eine bestimmte Richtung, ohne dass ich es zum jeweiligen Zeitpunkt durchschaute oder gar verstand. Und irgendwann merkte ich, dass ich mir selbst umso mehr Schmerzen zufügte, je mehr ich mich meinem Wesen und dem Fluss des Lebens widersetzte.
Im Januar 2010 endeten meine Lehr- und Wanderjahre als Coach. Die innere Stimme sagte mir: »Aufhören! Nimm dein Wissen und deine Erfahrung, schreib und sprich darüber.« In den Jahren als Coach war es mir gelungen, Menschen bei ihrer beruflichen Selbstfindung zu unterstützen. Nicht gelungen war es mir, das Drama ihres Berufslebens von dem meinen zu trennen. Was will ich damit sagen?
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