Ich kenne dein Geheimnis
Sie hatte bereits diversen Celebritys die Hand geschüttelt und war gerade dabei, Jaki Elkann
und seine Frau Lavinia Borromeo zu begrüßen, als ihre Konkurrentin Paola Lovatelli ihr den Agnelli-Erben vor der Nase wegschnappte.
Chiara brauchte eine Pause, sie war erschöpft. Bevor sie die Baronin Sannazzaro d’Altino zu ihrem Fest beglückwünschte, musste
sie sich frisch machen und ihr Etuikleid wieder in Form bringen.
Chiara verließ den großen Salon und fragte eine livrierte junge Frau nach der Toilette. »Immer geradeaus, Signorina , den Korridor entlang und dann links.«
Chiara folgte der Beschreibung, durchschritt den Korridor und wandte sich dann nach links. Doch statt vor der Toilette stand
sie vor einer Mauer. »Meine Güte, Chiara , wieder mal rechts und links verwechselt« , seufzte sie, ging zurück und wandte sich nach rechts. Aber auch dort stand sie vor einer Mauer. »Soll das ein Scherz sein?«
Sie eilte den Korridor zurück, um die junge Frau zu suchen, doch am Eingang des Salons stand niemand mehr. Mit wachsender
Unruhe blickte sie sich um. Der Eingang sah plötzlich ganz anders aus. Als sie sich erneut umdrehte, erkannte sie am Ende
des Korridors eine Frau, die blitzschnell wieder verschwand. Sie war links abgebogen. »Wo will sie bloß hin?«, fragte sich
Chiara und folgte ihr. Kurz vor der Mauer bemerkte sie eine Tür, die ihr vorher nicht aufgefallen war. Sie öffnete sie und
stand in einem düsteren Weinkeller. An allen vier Wänden stapelten sich Barrique-Fässer. Aus der Ferne war Stimmengewirr zu
hören. Vielleicht Gäste, dachte Chiara und suchte weiter nach der Frau. Sie fand sie neben einer hölzernen Treppe, die zu
einer Terrasse führte. Als Chiara sie erkannte, schrie sie überrascht auf. »Baronessa!«
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Vivy Sannazzaro drehte sich um. Die noch immer schöne Frau lächelte ihr zu, dabei spielte sie mit ihrer Perlenkette. Ihre
Hände waren nicht die einer alten Frau. Chiara wollte auf sie zugehen, als sie hinter sich im Korridor ein knisterndes Geräusch
hörte.
»Was ist los?«, fragte sie erschrocken.
Die Baronessa zuckte teilnahmslos mit den Schultern. »Baro
nessa
« , rief Chiara wieder, doch als sie sah, dass die Baronin noch immer nicht reagierte, drängte sie nicht weiter. »Sie bleiben
hier und bewegen sich nicht von der Stelle. Ich schaue nach, was los ist« , dabei ging sie zur Tür. Doch kaum hatte sie die Tür einen Spalt geöffnet, schlug Chiara sie wieder zu. Der Korridor stand
in Flammen. »Es brennt! Schnell weg, hier lang!« Chiara rannte auf die Baronessa zu und nahm sie bei der Hand. »Es muss noch
einen anderen Ausgang geben!«, sagte sie voller Panik.
»Nein , den gibt es leider nicht.« Vivy Sannazzaros Stimme klang merkwürdig ruhig. Unvermittelt schoss eine Feuerzunge hinter der
Baronessa empor und verschlang sie. Chiara wollte um Hilfe rufen, doch der Rauch erstickte ihre Stimme zu einem Röcheln. Das
war das Ende. Doch bevor die wabernde Hitze ihr die Sinne raubte, konnte sie einen Mann auf der Türschwelle stehen sehen.
Obwohl er von gleißend hellem Licht umgeben war, erkannte Chiara ihn sofort. »Im Zeichen des Feuers!«, schrie der Edelmann
aus dem 18. Jahrhundert und warf sich in die Flammen, um die Baronessa zu retten. Chiara verlor das Bewusstsein.
»Chiara! Chiara, wach auf! Die Stunde ist um.« Chiara öffnete die Augen. »Du hast gesagt, ich soll dich wecken.«
»Schon gut.« Chiara fuhr sich benommen über das Gesicht, sie versuchte, sich in ihrer Garderobe zurechtzufinden. »Danke, Gilla,
ich komme gleich, ich brauche nur einen Moment, |347| um ganz wach zu werden.« Als Gilla den Raum verlassen hatte, nahm Chiara ihren Notizblock zur Hand und schrieb das auf, was
ihr an dem Alptraum am wichtigsten erschien: »Im Zeichen des Feuers.«
Bruno Velati übertrug die Namen der Gäste in eine Excel-Tabelle, als Marco Tonioli sein Büro betrat. »Ich habe die Resultate
des Tests.«
»Und?« Aus Velatis Stimme sprach wenig Hoffnung auf eine gute Nachricht. Marcos Gesichtsausdruck sprach Bände.
»Leider positiv.«
Velati holte tief Luft und atmete dann langsam aus. »Jetzt müssen wir es der Baronessa sagen.«
»Wir haben keine andere Wahl.«
Vivy Sannazzaro saß wie versteinert hinter ihrem Schreibtisch, wortlos musterte sie die Gesichter ihrer engsten Vertrauten.
Warum hatten Velati und Tonioli nicht schon früher mit ihr gesprochen? Wahrscheinlich, um sie zu schützen. Sie
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