Ich kenne dein Geheimnis
Modewelt!« Dabei hielt er das
Kleidungsstück in die Höhe, als wäre es eine Trophäe. Vivy bewunderte das Jackett, es war wirklich einzigartig. Der Stoff
stammte aus der Fondazione Arte della Seta Lisio in Florenz, ein feuerroter Samtbrokat mit floralen Motiven im Renaissancestil.
Das Tüpfelchen auf dem i waren die silbernen Knöpfe, die Gerry bei einem Silberschmied in Borgo San Jacopo aufgestöbert hatte.
»Mein Kompliment, das Jackett ist wirklich ein Kunstwerk! Vielleicht etwas extravagant, aber wunderschön. Welche Schuhe wirst
du dazu tragen?«
»Voilà!« Aus dem magischen Kleidersack zog Gerry ein Paar feuerrote Lederpuschen.
»Himmel, hilf!« Cesco rollte mit den Augen. »Gerry, du hast wohl den Verstand verloren. Wenn du nicht der Mann meines Lebens
wärst, würde ich dich wegen Verrohung der Sitten von der Party verbannen. Ich gestatte dir diesen Aufzug nur, weil das Event
Rosso-Bianco-Oro heißt und deine Jacke ganz zweifellos röter als rot ist. Aber jetzt werfen wir mit Monica noch einen letzten
Blick auf den
recall
.«
Edy Micheli hatte Smeralda geholfen, eine Ausrede zu finden, um nicht in Giampiero Principinis Wagen fahren zu müssen. Natürlich
war sie froh, durch ihn auf die handverlesene Gästeliste |356| der Sannazzaros zu gelangen, aber nicht um jeden Preis. Der Professor interessierte sie überhaupt nicht. Nach dem Fest wollte
sie ihn nie wiedersehen. Am liebsten hätte sie überhaupt keinen Mann je wiedergesehen. Der einzige Mann, für den das nicht
galt, war Ispettore Bonadeo. Bei ihm fühlte sie sich sicher, er behandelte sie mit Respekt, als Frau und als Mensch. Jedes
Mal, wenn Dante Bonadeo ihr in die Augen gesehen hatte, war sie rot geworden und ihr Herz hatte schneller geschlagen. Nur
ein einziger Mann hatte jemals die gleiche Wirkung auf sie gehabt: Lupo Sannazzaro d’Altino. Nach seinem Tod hatte Smeraldas
schwerer Weg durch den Sumpf von Geheimnissen, Ängsten, Schuldgefühlen und Erpressungen begonnen. War das noch ein Leben?
Sicher, sie hatte durch ihre Schönheit die Armut hinter sich gelassen, aber das Unglück war sie nie losgeworden. »Mein armes
Kind, du bist für dieses Leben zu schön«, hatte ihre Mutter bei jeder Gelegenheit betont. Für sie war das Schicksal jedes
Menschen vorbestimmt, es gab kein Entrinnen. Smeralda hatte sich das Schicksal immer als kleinen Zwerg vorgestellt, dem es
Spaß machte, den Menschen, die sich nicht fügten, Steine in den Weg zu legen. Sie hatte sich nicht gefügt und war reich und
berühmt geworden, und jetzt war der Zwerg zurück, um ihr einen Streich zu spielen.
Während sie den Reißverschluss ihres Trolleys zuzog, wunderte sich Chiara, dass sie so aufgeregt war. Hatte sie auch nichts
vergessen? Waren Gas, Licht und die Waschmaschine ausgeschaltet? Nach einem weiteren Rundgang nahm sie die große Furla-Tasche
und packte Geldbörse, Zugticket, Handy, Ladegerät und den Notizblock ein. Kurze Zeit später kontrollierte sie nochmals, ob
sie auch alles dabeihatte. Wenn sie nervös war, halfen ihr Ordnung und Struktur, ihre flatternden |357| Nerven wieder in den Griff zu bekommen. Wenn sie dagegen Visionen oder Alpträume gehabt hatte wie heute, dann half gar nichts.
Vor allem die Reise ins Chianti machte ihr Sorgen. Das Feuer, das sie im Traum in Vivy Sannazzaros Villa hatte ausbrechen
sehen, stand ihr noch lebendig vor Augen. Und auch die Notiz, die sie sich unmittelbar nach dem Traum gemacht hatte, schien
auf drohendes Unheil hinzudeuten. Sie hatte eine Vorahnung gehabt.
Im Zeichen des Feuers …
Während sie auf das Taxi wartete, zog sie den Notizblock heraus. Jedes Stichwort war wie ein Faden, der sich mit den anderen
zu einem fragilen Spinnennetz verband: Man musste nur einen Punkt berühren und das ganze Gebilde geriet in Bewegung. Alles
hing irgendwie miteinander zusammen. Doch wie sollte Chiara dieses Rätsel entschlüsseln? Wo musste sie ansetzen? Wieder und
wieder ging sie ihre Aufzeichnungen durch. Ihre Kollegin Ilaria hatte einen NLP-Kurs gemacht und ihr geholfen, die Notizen
in ein Raster einzuzeichnen. »Dieses Raster hilft dir, alle Daten zu verarbeiten und neue Verbindungen zu erschließen. Jede
Information, die dein Gehirn erreicht, egal, ob als Gefühl, als Erinnerung, als Gedanke oder als Bild, kannst du dir als Wurzelstock
vorstellen, aus dem Abertausende Triebe sprießen. Jeder einzelne Trieb steht für eine Assoziation und verzweigt sich
Weitere Kostenlose Bücher