Ich kenne dein Geheimnis
der dich verraten hat? Vielleicht hat er einer seiner Geliebten etwas geflüstert, als sie miteinander im Bett waren?
So ähnlich wie bei uns?«
Amandas Hals war wie zugeschnürt, ihr Herz raste vor Wut. Das war zu viel. Sie wollte gerade kontern, als Titti in der |85| Tür erschien. »Signora Principini und Signorina Mangano sind da und möchten Sie gerne begrüßen.«
Amanda fuhr herum und schnaubte: »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du anklopfen sollst?«
»Die Tür war offen«, rechtfertigte sich die junge Verkäuferin und sah verstohlen zu Spargi hinüber, der ihr ein Lächeln schenkte.
Amanda schüttelte den Kopf. »Wir sind noch nicht fertig miteinander«, fauchte sie, bevor sie zur Tür ging. In diesem Moment
klingelte ihr Handy in der Gucci-Handtasche auf dem Sofa. Amanda ging hinüber und zog es heraus. »Pronto?« Sie erblasste.
Spargi drückte seine halbgerauchte Zigarette aus und trat zu ihr. Doch Amanda hob abwehrend die Hand. Als sie auflegte, hatte
ihr Gesicht einen Ausdruck angenommen, den Spargi nur allzu gut kannte. »Ich gehe«, sie griff so hastig nach ihrer Handtasche,
dass ihre Brieftasche herausfiel. Sie bemerkte es nicht einmal. Spargi hob sie auf und reichte sie ihr. »Brando?«, fragte
er, obwohl er die Antwort bereits kannte. »Ja, es war die Schule. Wieder ein Anfall.« Voller Sorge eilte Amanda aus dem Büro.
Spargi und Titti blickten sich nur wortlos an.
»Das Auto steht bereit, Signora«, Augusto, der junge Fahrer, reichte Amanda die Schlüssel für den Smart. »Danke, Gus.« Sie
wollte jetzt nur zwei Dinge: Allein sein und so schnell wie möglich zu Brando kommen. Auch wenn die Kinderfrau ihren Sohn
nicht aus den Augen ließ, war sie in heller Aufregung, denn bei einem Anfall ließ er sich nur von ihr beruhigen. Wie oft schon
hatte die Schule angerufen, weil Brando einen Mitschüler geschlagen, eine Lehrerin attackiert oder Tische und Bänke umgeworfen
hatte. »Brandos Wutausbrüche machen den anderen Kindern Angst. In diesem Zustand verliert er die |86| Kontrolle über sich, wird gewalttätig und damit zu einer Gefahr für sich und seine Umgebung«, hatte der Direktor am Telefon
etwas verlegen gesagt.
Beim Zuhören hatte Amanda tiefe Schuldgefühle gehabt. Sie war die Mutter, sie fühlte sich verantwortlich, auch wenn die Psychologin
ihr erklärt hatte, dass die Anfälle nicht zwangsläufig mit ihr zu tun hätten. Es käme häufiger vor, dass Pflegekinder aggressives
Verhalten an den Tag legten. Aber Amanda quälte sich weiter. Wenn sie nur begreifen könnte, was im Kopf ihres Sohnes vorging,
nur ein einziges Mal. Dann würde sie wissen, was ihn verfolgte, und vielleicht den Schlüssel zu den selbstzerstörerischen
Attacken finden, die ihn seit frühster Kindheit quälten. Wenn sich Brando wie ein Welpe in ihre Arme kuschelte, hatte sie
Hoffnung, doch noch näher an ihn heranzukommen. Dann durfte sie ihm durch die Haare fahren, und er strahlte sie an. Auf dieses
Bild versuchte sie sich jetzt zu konzentrieren, als sie sich verzweifelt durch den dichten Verkehr in der Innenstadt schob.
Doch die Worte des Direktors schwirrten durch ihren Kopf wie ein lästiges Insekt. »Die Eltern der anderen Kinder haben sich
beschwert. Sie fürchten, dass Brando eines Tages ernsthaft jemanden verletzen könnte, immerhin ist Brando ein Jahr älter und
größer und kräftiger als die anderen …«
Im Jahr zuvor hatte Amanda ihren Sohn aus der ersten Grundschulklasse nehmen müssen. Eines Morgens hatte er eine Glasfigur
zertrümmert und danach das Kindermädchen gebissen, das sogar mit einer Schadensersatzklage gedroht hatte. Von einer Sekunde
auf die andere jedoch hatte sich Brando wieder beruhigt, und Amanda hatte ihn in die Schule gebracht. Nach einigen Stunden
war es zu einem weiteren, weit stärkeren Anfall gekommen. Danach hatte Amanda Brando in die Kinderpsychiatrie bringen müssen,
die ihr |87| Freund Vincenzo Pelori ihr empfohlen hatte. Mit Hilfe von Medikamenten und viel Geduld war es Doktor Frangini gelungen, den
Jungen so weit zu stabilisieren, dass er das erste Schuljahr wiederholen konnte.
Was, wenn sie ihren Sohn ein weiteres Mal von der Schule nehmen müsste? Besser nicht darüber nachdenken. Mit acht Jahren konnte
er die erste Klasse nicht noch einmal wiederholen.
»Körperlich ist alles in Ordnung. Es gibt auch keine neurologischen Probleme. Brando ist ein gesundes Kind, Signora«, hatte
sie der Kinderarzt
Weitere Kostenlose Bücher