Ich kenne dein Geheimnis
amerikanischem
und sizilianischem Akzent.
»Heute ist es wunderschön draußen.«
Maria Manniti schob sich zwei Kissen hinter den Rücken und setzte sich auf, dann strich sie mit der beringten Hand das Laken
glatt. Bevor sie aufstehen konnte, musste sie einen Moment sitzen und tief durchatmen.
»Von wegen Doktor! Zu mehr, als mir alles zu verbieten, reicht es bei Caffaro sowieso nicht, der wäre besser Tierarzt geworden.«
Maria Manniti hatte schlechte Laune. Das linke Bein tat weh, und die alte Narbe am Haaransatz über dem linken Auge hatte wieder
zu pochen begonnen. Kein gutes Zeichen, offensichtlich wollte sie ihr Unbewusstes an die Vergangenheit erinnern. Es war eine
Illusion zu glauben, sie könne |95| die Tragödie, die sie vor vielen Jahren heimgesucht hatte, irgendwann vergessen. Der hämmernde Kopfschmerz zwang sie immer
wieder dazu, zurückzublicken. Auf den Tag, als sie mit Piddu einen Ausflug gemacht hatte.
Sie gingen in Richtung des brandneuen Alfa Giulietta. Es war schwül, der Himmel bleigrau, aber das war egal. Sie war die glücklichste
Frau der Welt, ohne Wehmut für die Vergangenheit, ohne Angst vor der Zukunft, hingerissen von den ehrgeizigen Plänen ihres
Mannes. Während sie ihm fasziniert zuhörte, vergaß sie sogar den Hass auf ihren Vater und den Rest ihrer Familie. Piddu hatte
ihr Respekt und Aufmerksamkeit geschenkt, die Wertschätzung, die sie bei ihrem Vater immer vermisst hatte.
Piddu war vorausgegangen und schon ins Auto gestiegen. Ihr war die Tasche zu Boden gefallen, und sie hatte sich gebückt, um
den verstreuten Inhalt aufzusammeln. Als sie den Kopf wieder hob, schien es, als würde die Welt um sie herum explodieren.
Auf den grellen Lichtblitz folgte ein ohrenbetäubender Knall. Noch bevor sie begriff, was passierte, wurde ihr Körper in die
Luft geschleudert. Ein flammendes Inferno. Die Haut riss in Fetzen, es roch nach verbranntem Fleisch und schmelzendem Metall.
In diesem Augenblick wusste Maria genau, was das Wort »Hölle« wirklich bedeutete. Dann traf sie der Splitter. Er drang in
sie ein, als ob er kein anderes Ziel gefunden hätte. Während sie zu Boden sank, dachte Maria, dass das alles nicht wahr sein
konnte. Warum gerade jetzt? Wo sie endlich ihr Glück gefunden hatte. Für einen Moment spürte sie es wieder, das Glück, die
Vorfreude. Sie schlich aus dem Haus, um sich mit Piddu zu treffen, dem Sohn eines Bauern, der für ihren Vater arbeitete. Dann
wurde es schwarz um sie her. Nach einigen Stunden war sie in einem dämmrigen Zimmer wieder aufgewacht. Neben ihr saß ein dunkel
gekleideter |96| fremder Mann, der ihr offenbar zu Hilfe geeilt war. »Dein Mann hat es nicht geschafft«, hatte er gesagt und ihr die Hand gedrückt.
Das Dunkel war noch dunkler geworden, und Maria Manniti hatte voller Verzweiflung begriffen, dass ihr Leben, wie auch immer
es in Zukunft aussehen würde, noch nicht zu Ende war.
Wie so viele andere Witwen hatte sie die Ärmel hochkrempeln müssen, um das Erbe ihres Mannes zu erhalten und ihre siebenjährige
Enkelin zu erziehen, die Vater und Mutter verloren hatte. Maria Rosalia, genannt Rosaly, war das Kind ihrer einzigen Tochter
Carmela, die nach ihrer Hochzeit mit Peppe Cali nach New York gegangen war.
»Reichst du mir den Kaffee, Rosaly? Ich sehe morgens so schlecht, und mein Bein tut weh.«
Maria Rosalia half ihr aus dem Bett und in den Morgenmantel.
»Du wirst sehen, Großmutter, wenn du dich bewegst, dann geht der Schmerz vorbei. Um zehn hast du übrigens ein Treffen mit
Russo und Milazzo.«
Die alte Frau zog die rechte Augenbraue hoch, die linke war seit dem Unfall gelähmt.
»Russo kommt aus Catania, Milazzo aus Palermo. Erinnerst du dich, Großmutter, es geht um die Geschäftsberichte.«
»Natürlich. Ich sehe zwar nicht mehr so gut wie du, aber verblödet bin ich noch nicht.«
Maria Manniti warf ihrer Enkelin einen tadelnden Blick zu. In den letzten Jahren expandierte das Geschäft, aus Piddus bescheidenem
Erbe war ein Imperium geworden, das jedoch wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen würde, wenn sie einmal nicht mehr da
wäre. Maria Manniti vertraute niemandem, selbst die engsten Mitarbeiter hielt sie für um ein sterbendes |97| Tier kreisende Geier. Arbeitsscheue Drückeberger und Nichtsnutze hasste sie wie die Pest, da kannte sie kein Pardon. Natürlich
gab es immer ein paar Emporkömmlinge, die glaubten, ihr die Stirn bieten zu können. Da galt es wachsam zu
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