Ich kenne dein Geheimnis
erzählt,
sie hieße Malena und würde als Pflegerin arbeiten. Dann haben wir alle Geschäfte in der Nachbarschaft befragt. Ein Bäcker
war sicher, das Opfer öfter gesehen zu haben. Er meinte allerdings, sie hieße Melena und würde mit einem Mann zusammenleben,
dem er schon öfter Ware geliefert hatte.« Pacì hielt kurz inne, um Silvia Giorginis staunenden Gesichtsausdruck zu genießen.
Es gelang ihm selten genug, sie zu überraschen.
Silvia öffnete die Mappe. »Gut gemacht, Barbera.«
»Manchmal braucht man eben ein bisschen Glück.«
»Hast du etwas über diesen Mann herausbekommen?«
»Er heißt Antonio Livraghi und ist ein kleiner Kunstsammler, oder sagen wir, er sammelt das, was man so für Kunst hält. Er
wohnt am Rio Farin in Venedig. Sie war sein ukrainisches Mädchen für alles. Sie nannte sich Malena, aber ihr wahrer Name war
Yelena Marcovich. Wahrscheinlich war sie von allem etwas: schwarzhaarig, blond und braun, hatte glatte und lockige Haare,
war Pflegerin, Kellnerin und Prostituierte.« Barbera warf Silvia einen prüfenden Blick zu. Die Kommissarin wusste, was jetzt
kam. Er hatte noch ein Ass im Ärmel und wollte sichergehen, dass sie ihm aufmerksam zuhörte. »Und weiter?« Barbera ließ sich
nicht lange bitten: »Jetzt kommt das Beste. Livraghi ist schon mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Er war in windige Import-Export-Geschäfte
verwickelt, die sich als getarnte Drogengeschäfte entpuppten. Sehr wahrscheinlich war Malena oder Melena seine Geliebte. Nach |101| den Aussagen der Befragten zu urteilen, gab sie ziemlich viel Geld für ihr Äußeres aus.«
Silvia Giorgini seufzte tief und drückte die erst halb gerauchte Zigarette im Aschenbecher aus. »Gute Arbeit, Pacì. Ausgezeichnet.«
Wenn sie ihn beim Vornamen nannte, war sie zufrieden mit ihm. Barbera wurde rot. Für einen Moment herrschte Stille, dann sprachen
sie beide gleichzeitig weiter. Sie lächelten verlegen, und Barbera schwieg, während Silvia in sachlichem Ton fortfuhr: »Sag
Bonadeo Bescheid, er soll unverzüglich nach Venedig fahren und Livraghi hierherbringen. Ich bin gespannt, was er zu sagen
hat.«
Ispettore Dante Bonadeo war mit neunundzwanzig von Palermo nach Mailand versetzt worden. Hier hatte er in kürzester Zeit Karriere
gemacht, als Belohnung für seinen mutigen Einsatz bei der Verhaftung von zwei rumänischen Dealern. Obwohl er dabei verletzt
worden war, hatte er entscheidend dazu beigetragen, dass die beiden vor Gericht gestellt werden konnten. Er erzählte immer,
dass er wegen seiner Eltern zur Polizei gegangen war. Schon in seiner Kindheit hatten sie ihm ihr dualistisches Weltbild eingebläut.
Es gab nur »die Guten« und »die Bösen«. Das galt selbst für den Fußball, seine große Leidenschaft. Die Guten, das waren die
Palermo-Fans, die Bösen waren für Catania. Der Polizeiberuf bot neben Sicherheit auch solide finanzielle Möglichkeiten. Dante
stammte aus einer kleinbürgerlichen Familie. Obwohl das Geld knapp war, hatten seine Eltern alles darangesetzt, ihn studieren
und einen Abschluss in Jura machen zu lassen. Seine Mutter war Schneiderin, sie hatte jahrelang auf alles verzichtet, damit
er an ihrer Stelle ins Kino oder Pizza essen gehen konnte. Sein Vater, ein Gentleman alter Schule, hatte das Rauchen aufgegeben,
sein einziges Laster, und sogar den lange fälligen Kauf eines neuen |102| Autos zurückgestellt. »Wer mit dem Rauchen aufhört, spart viel Geld, und gesund ist es auch«, hatte er immer gesagt. Dante
war ihrem Vorbild gefolgt und bescheiden geblieben. Bevor er zur Polizei ging, hatte er als Briefträger, als Dogsitter und
als Hausmeister in einem Wohnblock gearbeitet, gelernt hatte er nachts. Er hatte alle Prüfungen mit Bravour bestanden und
kurz vor dem Tod des Vaters seinen Abschluss gemacht. Ironie des Schicksals: Sein Vater starb an Lungenkrebs. Obwohl sein
Leben entbehrungsreich war, hatte er seine wohlhabenden Altersgenossen nie beneidet. Eines allerdings machte ihm Kummer: Er
hatte einfach kein Glück mit Frauen. Nicht, dass er hässlich war, im Gegenteil: Er hatte einen vom Kickboxen gestählten Körper,
volles dunkles Haar und goldbraune Augen mit grünen Einsprengseln. An Verehrerinnen fehlte es nicht, von denen einige sogar
äußerst hartnäckig waren. Doch wenn er sich dann auf eine Beziehung einließ, traf er meist die falsche Wahl. Entweder machten
ihm die Frauen das Leben zur Hölle, oder er wurde betrogen.
Weitere Kostenlose Bücher