Ich kenne dein Geheimnis
sein.
»Rosaly, du bist eine wunderschöne Frau geworden. Irgendwann musst du gehen und dir einen Mann zum Heiraten suchen.« Maria
Manniti nippte an ihrem Kaffee, verzog das Gesicht und stellte die Tasse zurück.
»Nonna, ich habe bestimmt nicht in Berkeley studiert, um mein Leben hinter dem Herd zu verbringen. Du weißt, dass ich von
dir Tag für Tag etwas Neues lerne. Gib mir Zeit. Ich bin fünfundzwanzig, und du warst sechzehn, als Mama auf die Welt kam.
Das will ich nicht. Aber sonst bist du in jeder Hinsicht mein Vorbild!« Maria Rosalia lächelte und küsste sie auf die Stirn.
Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Ach, ihr Amerikaner«, seufzte sie und stützte sich auf den Arm der Enkelin, um die ersten
Schritte des Tages zu tun.
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»Die Zeit vergeht, und wir haben noch rein gar nichts.« Commissario Giorgini knallte den Ordner auf den Tisch und nahm eine
Zigarette aus dem halbleeren Päckchen. Der leicht vorwurfsvolle Blick ihres Kollegen Pacì Barbera war ihr nicht entgangen,
aber das forderte sie nur noch mehr heraus. Sie hatte persönlich nichts gegen ihn, ihr ging es ums Prinzip. Sie war eine Rebellin,
die sich nichts verbieten ließ. Im Grunde wunderte sie sich selbst darüber, dass sie auf der Seite von »Recht und Ordnung«
gelandet war. Sie hätte genauso gut auf der anderen Seite stehen können. »Also?«, fragte sie wütend.
Barbera hatte eine blaue Plastikmappe auf den Knien und starrte verlegen an die Wand. »Es muss ein Motiv für diesen mysteriösen
Mord geben«, bei diesen Worten vermied er immer noch, der Kommissarin in die Augen zu blicken. Er konnte es nicht ertragen,
sie so ratlos zu sehen. Wenn er sich jemals in eine Frau verlieben sollte, dann in dieses drahtige kleine Energiebündel in
Jeans und Tennisschuhen mit den stets zerzausten Haaren. Das würde er natürlich nie zugeben, nicht einmal sich selbst gegenüber.
»Ich muss niemanden verführen«, hatte er sie einmal zu einem Kollegen sagen hören, der sich eine Bemerkung über ihre männliche
Kleidung erlaubt hatte. »Und neidisch auf euch Männer bin ich schon gar nicht. Meine Kleidung muss vor allem eins sein: bequem.«
Barbera hatte versucht, ihr beizuspringen, aber Silvia hatte seine Bemerkung gar nicht witzig gefunden. »Und irgendwann |99| komme ich dann in Highheels«, hatte er gesagt. »Wage es nur, Barbera, dann findest du dich im Innendienst wieder und treibst
Bußgelder ein.«
Silvia blies ihm eine Rauchwolke ins Gesicht. »Ich habe eben mit Rom telefoniert. Diese Frau war auch vor ihrem Tod schon
ein Rätsel. Interpol hat sie nicht in der Datei. Nicht einmal das Foto hat weitergeholfen. Niemand hat sie vermisst. Keine
Freunde, keine Familie. Ein Fressen für die Presse, ich sehe die Schlagzeilen schon vor mir!«
»Die Blonde mit der Hutnadel«, schlug Barbera vor, während sein Blick über das Foto des Opfers glitt, das vor ihm auf einem
Aktenstapel lag. Commissario Giorgini hatte recht, aus Rom kam keine Hilfe, kein Hinweis, der sie weiterbringen würde. Die
Handtasche der Toten war leer gewesen. Ihm war jedoch etwas aufgefallen, was der Kommissarin und den Kollegen aus Rom verborgen
geblieben war. Er räusperte sich, nahm allen Mut zusammen und deutete auf den Hals der Toten. »Und wenn das …«
Silvia schnappte sich das Foto. Das Opfer trug eine Kette mit einem stilisierten Kreuz. Silvia zog die Augenbrauen hoch. »Ja
und, das ist ein stinknormales Kreuz …«
»Stimmt, aber aus Muranoglas. Ein Schmuckstück, das in Venedig hergestellt und dann in ganz Italien verkauft wird.«
»Ich weiß, was du meinst, Barbera.« Silvia Giorgini sah ihm in die Augen, ihm brach der Schweiß aus. »Gut, fangen wir noch
einmal an. Wir suchen nach dem Glasbläser, der diesen Typ Anhänger herstellt, und nach sämtlichen Verkaufsstellen.«
»Schon passiert.« Barbera konnte seinen Triumph kaum verbergen. Endlich war er der Kommissarin einmal voraus. »Hinter dem
Kreuz ist ein Einschluss im Glas, eine Art Herkunftsnachweis«, sagte er und hielt ihr die Sammelmappe hin, |100| die er die ganze Zeit auf dem Schoß gehabt hatte. »Die Firma Rattazzi ist bekannt dafür. Sie beliefert mehrere kleine Geschäfte
in Venedig und Mestre. Wir waren überall und haben das Foto des Opfers gezeigt. Anfangs vergeblich, aber dann hat eine aufmerksame
ältere Verkäuferin unsere Frau erkannt. Allerdings war sie ihrer Meinung nach braunhaarig und nicht blond. Sie hat uns
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