Ich kenne dein Geheimnis
900EX. In Mailand regnete
es, genau wie in Bukarest. Während er darauf wartete, dass das Landemanöver beendet war, warf er einen gelangweilten Blick
in die Zeitungen, die er mitgenommen hatte. |185| Die Seiten, auf denen er erwähnt wurde, hatte er mit gelben Post-its markiert. Erfreut stellte er fest, dass die Daily Mail
und der Daily Express ihm einen umfangreichen wissenschaftlichen Artikel widmeten, allerdings nicht ohne den für die englische
Presse typischen Klatsch und Tratsch. Neben dem Artikel das Foto eines gutaussehenden Mannes im Armani-Anzug, darunter die
Bildunterschrift: Giampiero Principini – der Wissenschaftler als neues Sexsymbol. Die deutschen und die französischen Zeitungen
berichteten seriöser. Spektrum der Wissenschaft und L’Express feierten seine Erfolge in der Stammzellenforschung, während
in einem nicht mehr ganz aktuellen Hochglanzmagazin, das der rumänische Klinikchef extra für ihn aufgehoben hatte, ein Foto
von ihm mit der Miss Ungarn zu sehen war. Der Arzt hatte auch eine Übersetzung des Artikels beigelegt. Principini las den
Titel: »Giampiero Principini, einer der genialsten Wissenschaftler Europas«. Neben den Erfolgen in der Genetik, verwies der
Journalist auch auf seine Forschungen auf dem Gebiet der Kosmetik, die er mit Krüger-Cosmetics zusammen durchführte. Die Krüger-Gruppe
war dabei, ihre Marktsegmente auszubauen, und hatte in jüngster Vergangenheit auch das Modelabel Donna Diabla aufgekauft.
Auf einem weiteren Bild unterhalb des Artikels war deshalb die italienische Schauspielerin Smeralda Mangano zu sehen, die
ein verführerisches Donna-Diabla-Modell trug.
Als er ausstieg, steckte er die Zeitungen in seinen Aktenkoffer. Auf dem Rollfeld warteten die beiden Bodyguards, die ihn
auch schon auf der Hinreise begleitet hatten. Es regnete in Strömen, Principini schlug den Mantelkragen hoch und hielt seinen
Aktenkoffer schützend über den Kopf, bis einer der beiden Leibwächter einen Schirm über ihn hielt und ihn zum Ausgang begleitete.
Dort wartete ein BMW mit verdunkelten |186| Scheiben. Der Bodyguard öffnete die hintere Tür, um ihn einsteigen zu lassen, dann setzte er sich neben ihn. Der andere nahm
auf dem Beifahrersitz Platz. Principini schwieg während der gesamten Fahrt, seine Augen folgten dem fließenden Verkehr. Er
war müde, müder als sonst. Zum Glück war der Eingriff erfolgreich verlaufen, eigentlich konnte er zufrieden sein. Aber wie
zufrieden konnte man sein, wenn man von der Mafia erpresst wurde? Skrupellose Geschäftemacher, die ihn mit viel Geld und Ruhm
gelockt und ihm dann die Pistole auf die Brust gesetzt hatten: Hippokratischer Eid oder Leben. Er hatte sich ohne großes Zögern
fürs Überleben entschieden, für das Überleben als reicher Mann. Er hatte sogar einen Weg gefunden, sein Gewissen zu beruhigen:
Die entnommenen Organe toter Kinder konnten das Leben anderer Kinder retten, die ohne seine ärztliche Kunst keine Chance gehabt
hätten. Dass es sich bei den Organempfängern immer um Kinder reicher Eltern handelte und die verstorbenen Kinder immer arm
waren, spielte für ihn keine Rolle. Es waren meist Waisenkinder, auf deren Körper niemand Anspruch erhob. So war das Leben
eben. Fragen stellte er sich schon lange keine mehr. Er war Profi. Gewissensbisse hatten da keinen Platz. »Meine Arbeit beginnt
und endet im Operationssaal«, sagte er immer, das war seine Devise. Ohne Wenn und Aber.
Während sie durch die Stadt fuhren, erinnerte er sich daran, wie alles begonnen hatte. Der Parlamentsabgeordnete Pelori hatte
ihn aufgesucht und ihm eine hohe Spende für den Kampf gegen Alzheimer und Krebs angeboten. Principini hatte sich über die
großzügige Spende gefreut, die angeblich von einem reichen Unternehmer stammte, dessen einziger und über alles geliebter Sohn
an Leukämie gestorben war. Damals wusste er noch nicht, dass Pelori als politischer Wendehals bekannt war, der sein Fähnchen
stets nach dem Wind richtete. |187| Pelori hatte ihm erklärt, dass der Industrielle, der anonym bleiben wolle, vorhabe, eine Stiftung in Gedenken an seinen Sohn
ins Leben zu rufen. Unter der Bedingung, dass er, Giampiero Principini, Vorsitzender der Stiftung würde.
Als Principini endlich klargeworden war, was sich hinter dieser Großzügigkeit verbarg, war es bereits zu spät. Er steckte
bis zum Hals im Sumpf, gefangen wie eine Fliege im Spinnennetz. Zwei finster dreinblickende Osteuropäer
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