Ich kenne dein Geheimnis
wie Ermanno Forte reagieren würde, aber was die Sendung betraf, würde sich bestimmt
eine Lösung finden lassen.
Silvia lächelte, sie wusste, wie sie ihre Freundin packen konnte. »Du musst hier bleiben und mir bei den Ermittlungen helfen,
ich brauche dich hier, Chiara.« Sie griff nach einem Päckchen Zigaretten, aber Chiara war schneller und schob sie beiseite.
»Wenn ich in Mailand bleibe, versprichst du mir dann, nicht zu rauchen?«
Silvia zögerte, das hatte sie nicht erwartet. Sie blickte sehnsüchtig auf die Schachtel. Ein hoher Preis.
»Chiara, lass es gut sein. Sind wir nicht alle von irgendetwas oder von irgendwem abhängig?«
»Nun?« Chiara ließ nicht locker.
»Ich versuche es. Oder besser, ich gebe mein Bestes.«
»Ja oder nein! Versuchen gilt nicht!«, fasste Chiara nach, unnachgiebig wie Jedi-Meister Yoda in »Krieg der Sterne«.
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Ich hätte diesen Brief gerne mit »Lieber Giampiero« begonnen , aber ich kann es nicht. Du bist nicht mehr der Mann, den ich mehr geliebt habe als mich selbst. Seit langem schon weiß ich,
dass Du mich betrügst, und das nicht nur mit jeder x-beliebigen Hure, die Dir über den Weg läuft. Du betrügst auch Dich selbst
und das Vertrauen, das mein Vater in Dich gesetzt hat. Ein Mann, dem die Wissenschaft heilig war. Ein Mann, der Dich gefördert
und alles dafür getan hat, dass Du das werden konntest, was Du heute bist.
Anna hielt inne und schniefte. Ihre Augen waren blind vor Tränen, sie konnte nicht mehr weiterschreiben. Sie dachte an ihre
erste Begegnung im Arbeitszimmer ihres Vaters. Giampiero war der Mann ihrer Träume: groß und athletisch, bedingungslos loyal
und ausgesprochen galant. Dass er neun Jahre älter war als sie, spielte keine Rolle. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sich Anna
sicher, sie strotzte vor Stolz und Vitalität, alles schien möglich. Doch jetzt war alles anders. Sie fühlte sich wie der letzte
Dreck, belogen, betrogen, erschöpft und depressiv.
Sie schrieb weiter, jetzt flossen ihr die Worte aus der Feder. Als sie den Brief beendet hatte, ergänzte sie rechts oben das
Datum, faltete ihn in der Mitte und steckte ihn in einen Umschlag, auf den sie »An Giampiero« schrieb. Sie atmete tief durch.
Jetzt kam die schwerste Hürde: Sie musste zur Polizei gehen. Zuvor allerdings brauchte sie noch ein sicheres Versteck |197| für den Brief, niemand durfte ihn finden, am wenigsten Giampiero. Er sollte ihn erst nach der Anzeige lesen, dann, wenn es
zu spät war. Sie ging ins Schlafzimmer, wo ihr Blick auf die unterste Schublade der Wäschekommode fiel. Dort hatte sie hinter
Unterhosen, Unterhemden und Büstenhaltern die Fernet-Flasche und die Pralinenschachtel versteckt, ihre Notfallration. Kein
gutes Versteck. Giampiero wusste seit langem davon. Der Gedanke, dass jemand einfach in ihren Geheimnissen herumkramte und
ihre Intimsphäre verletzte, machte sie wütend. Sie konnte sich nicht mehr beherrschen. Ihre zitternden Hände drängten zur
untersten Schublade, auch wenn eine innere Stimme es immer wieder verbot. Sie wollte unbedingt stark bleiben, doch die Hände
waren nicht das Einzige, das zur Schublade drängte. Alles in ihr hatte nur dieses eine Ziel. Die Sucht hatte gesiegt. Einen
Augenblick später kniete sie am Boden und durchwühlte die Wäsche. Gierig griff sie nach der Flasche und öffnete den Verschluss.
»Das ist das letzte Mal«, sagte sie und setzte die Flasche an. Als sie den Fernet wieder in der Schublade verstaute, fühlte
sie sich schon besser. Das Zittern hatte aufgehört, die Angst war verschwunden. Jetzt konnte sie weiter nach einem Versteck
für den Brief suchen.
Sie blickte sich um. Hinter das Bett und den Spiegel würden José oder Rosy beim Saubermachen mit Sicherheit schauen. Sie starrte
auf den mit Seidenstoff verkleideten Spiegelrand, als hätte sie eine plötzliche Eingebung. Sie nahm den Brieföffner vom Schreibtisch,
löste mit der Klinge vorsichtig ein Stück der Verkleidung und steckte den Umschlag hinein. Dann drückte sie den Stoff wieder
fest. Anschließend ging sie einen Schritt zurück, um ihr Werk zu betrachten. Von dem Brief war nichts zu sehen. »Gute Arbeit,
Anna. Jetzt hast du dir eine Belohnung verdient.« Sie warf |198| einen verstohlenen Blick zur Schublade.
»
Ein Schlückchen, und dann ist Schluss«, sagte sie sich und nahm einen tiefen Schluck Fernet, um die quälenden Stimmen in ihrem
Kopf endlich zum Schweigen zu bringen. Doch
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