Ich kenne dein Geheimnis
sie trank weiter, bis sie auf das Bett sank. »Nur ein halbes Stündchen«, dachte
sie und fiel in einen komatösen Schlaf. Zwei Stunden später klingelte das Handy.
»Pronto«, stammelte sie benommen und versuchte vergeblich sich aufzurichten.
»Anna, bist du wach?«
Anna brabbelte etwas Unverständliches.
»Ich bin’s, Amanda.«
»Ich fühle mich nicht gut.« Die weiteren Worte waren nicht zu verstehen.
»Was hast du gesagt?«
Anna bemühte sich, deutlicher zu sprechen: »Ich verlasse Giampiero, aber zuerst will ich alles über die Transplantationen
herausfinden«, brachte sie heraus.
»Was redest du denn da? Willst du einen Skandal? Willst du Giampieros Karriere ruinieren?«
»Schöne Karriere!« Anna lachte gehässig.
»Hör auf, Anna. Lass uns in Ruhe darüber reden, wenn du …«, Amanda stockte.
»Wenn ich wieder nüchtern bin? Ja, du hast recht, ich habe wieder getrunken, aber zum allerletzten Mal.«
»In Ordnung. Hör mir zu. Ich helfe dir, versprochen. Aber jetzt beruhigst du dich erst mal, ja?«
»Aber ja doch«, Annas Stimme triefte vor beißendem Sarkasmus. Sie schniefte geräuschvoll, um die Tränen zurückzuhalten. Aber
Amanda ließ sich nicht täuschen. Sie wusste, dass Anna weinte, und versuchte sie abzulenken. Sie wechselte das Thema. »Anna,
bist du noch dran? Hör mal, meine Liebe, ich |199| habe eine Überraschung für dich. Heute und morgen liefern wir für unsere VIP-Kunden ein Geschenk aus. Ein Geschenk von Donna
Diabla! Bei Euch ist immer jemand zu Hause, oder?«
Anna horchte auf. Wenngleich sie sich nicht vorstellen konnte, welches Teil aus der Kollektion ihr passen könnte, in ihrer
Größe gab es bei Donna Diabla nichts. »Eigentlich schon, aber José und Rosy haben morgen einen Tag frei.« Sie zögerte einen
Moment, dann flüsterte sie: »Ohne Giampiero gibt es einfach weniger zu tun …«
»Ach, wie schade! Heute ist der Bote auf einer anderen Tour. Es geht leider nur morgen.«
»Na gut, ich werde da sein. Hör zu, Amanda, ich habe schreckliche Kopfschmerzen, können wir ein andermal weitersprechen?«
»Sicher, ruh dich aus. Aber mach keinen Blödsinn. Versprochen?«
Anna seufzte tief.
»Anna, ich bitte dich.«
»Versprochen. Ich habe einfach Kopfschmerzen und …«
»Ich hab dich lieb, Annina.«
»Ich dich auch Amy.«
»Wir telefonieren.«
Amanda wartete, bis ihre Freundin aufgelegt hatte, dann drehte sie sich zu Spargi um. Sie war leichenblass. Ihr Liebhaber
verzog keine Miene.
»Was machen wir jetzt, Franco?«, fragte Amanda verängstigt und wollte sich in seine Arme flüchten, doch er stieß sie zurück.
»Kümmere du dich um das Geschenk«, mit diesen schroffen Worten schlug er die Tür hinter sich zu.
|200| Am nächsten Tag kam das Geschenk, ein in goldenes Papier eingewickeltes Paket. Zugestellt von einem jungen Mann mit eingesticktem
Firmenlogo von »Amanda Luxury« auf der schwarzen Jacke. Anna konnte sich nicht erinnern, den Mann schon einmal in der Boutique
gesehen zu haben. Sie war verwundert, dass er nur rasch das Trinkgeld einsteckte und wortlos wieder verschwand. Vielleicht
war er verärgert, weil sie ihn vor der Tür hatte warten lassen, während sie telefonierte. »Das war Amanda«, versuchte sie
sich zu rechtfertigen. Aber er hatte keine Miene verzogen und war davongestürmt. »Was für ein Typ«, dachte Anna und nahm sich
vor, sich bei Amanda zu beschweren. Mit Sicherheit war ein Bote mit so schlechten Manieren keine gute Werbung für die Boutique.
Gespannt trug sie das Paket ins Schlafzimmer, wo sie es sofort öffnete. Eine rote Seidenstola! Anna war begeistert. Sie legte
sie sich um die Schultern und blickte in den Spiegel. Zum Glück war es eine Stola und kein Kleid, in das eine Frau wie sie
gar nicht hineinpasste. Während sie sich betrachtete, fiel ihr auf, wie blass sie war. »Ich müsste wieder mal ins Solarium«,
dachte sie, faltete die Stola zusammen und legte sie in eine Schublade.
Ohne Giampiero und die Angestellten wirkte das Haus wie ausgestorben. Anna wurde unruhig. Sollte sie sich etwas zu essen machen
und fernsehen? Nein, dieses Mal nicht. Diese Runde gegen ihre Fresssucht hatte sie gewonnen. Sie begann, die Einsamkeit als
Möglichkeit zu begreifen, ihre Freiheit zurückzuerlangen. Als Neubeginn.
Sie ließ sich treiben und tat das, was ihr die Psychologen geraten hatten: Sie kümmerte sich um sich selbst. Sie machte sich
ein gesundes Frühstück und kaute bewusst Bissen für
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