Ich kenne dein Geheimnis
Olivas Trauer
währte nur kurz, doch ihre Lust war noch lange nicht gestillt, und so folgte ein Liebhaber auf den anderen, und es war gewiss
nicht Vernunft, wovon sie sich in ihrer Wahl leiten ließ. Genau wie bei Baron d’Altino, diesem Hasardeur und Draufgänger,
der ihr quasi vor den Augen seiner Gattin mit unmissverständlichen Blicken klargemacht hatte, dass er sie begehrte.
Selbst nachdem er seine Gelüste die ganze Nacht an Santuzza ausgelassen hatte, war Volfango d’Altinos Verlangen noch immer
nicht gestillt. Er stellte sich vor, wie er zwischen die Schenkel der Marchesa glitt und seine Hände ihre Brüste liebkosten.
Oliva war die Frau seiner Träume. Er wollte sie haben, |225| um jeden Preis: Wenn es sein musste, würde er sie entführen und jeden töten, der sich ihm entgegenstellte. Doch seine verzehrende
Leidenschaft machte ihn auch angreifbar. Ein hohes Risiko, gerade jetzt, wo die Bruderschaft in Schwierigkeiten war. Er brauchte
einen klaren Kopf. Um seine Begierde zu zügeln, übergoss er sich wieder und wieder mit kaltem Wasser, bis sein Glied endlich
erschlaffte. Er streifte sich gerade das Hemd über, als er Tinas Stimme hörte:
»Signore, Donna Eufrasia verlangt nach Euch.« Tina verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Der Baron war in letzter Zeit
oft übellaunig und brauste wegen jeder Kleinigkeit auf. Die Dienerin hatte gesehen, wie er ein Buch nach Santuzza geworfen
hatte, nur weil sie auf sein Rufen nicht sofort reagiert hatte.
Als Volfango den Salon betrat, fuhr Donna Eufrasia erschrocken aus ihren Gedanken hoch, denen sie, mit einer Tasse Tee am
üppig gedeckten Tisch sitzend, nachgehangen hatte.
»Ihr seid nervös, meine Liebe?« Volfango drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Instinktiv wandte Eufrasia das Gesicht
ab. Der Baron ignorierte ihre Ablehnung und nahm ihr gegenüber am Frühstückstisch Platz. »Nun«, begann er und strich einen
Löffel Brombeermarmelade auf eine Scheibe Brot, »was wolltet Ihr mir so Dringendes sagen?«
»Ich möchte nach Palermo reisen. Jetzt, da ich Mutter geworden bin und Euch pflichtgemäß einen Stammhalter geboren habe, kann
ich die Einladung in den Palazzo Gravina annehmen.« Bei den letzten Worten senkte sie errötend den Blick.
»Palazzo Gravina?«
»Ihr habt richtig gehört. Was soll daran verwerflich sein?« Eufrasia zupfte nervös an der Tischdecke. Volfango holte tief
Luft, um etwas zu entgegnen, überlegte es sich aber anders.
|226| »Was seht Ihr mich so an?«, blaffte er stattdessen.
Donna Eufrasia schüttelte den Kopf und starrte auf ihren Teller. Wie eine Marmorstatue saß sie auf ihrem Stuhl, kerzengerade,
die Arme an den Körper gepresst.
»Darf man erfahren, warum Ihr nichts zu Euch nehmt? Schmeckt es Euch denn nicht?«
Donna Eufrasia schüttelte erneut den Kopf. »Seit einer Weile schon habe ich keinen Appetit mehr, was Euch allerdings erst
heute aufgefallen zu sein scheint …«, antwortete sie mit einem bitteren Lächeln. Volfango starrte sie verblüfft an, als sähe
er sie zum ersten Mal. In ihrem Gesicht lagen Verachtung und Melancholie. Ihre Enthaltsamkeit hatte Donna Eufrasia ohne Zweifel
wieder zu einer attraktiven Frau gemacht. Während er sie betrachtete, fühlte er, wie die Erregung mit einem Mal wieder in
ihm aufstieg.
»Es ist schon eine Ewigkeit her, dass …«, schmeichelte er und warf ihr einen flammenden Blick zu.
Donna Eufrasia stand abrupt vom Tisch auf. »Entschuldigt mich, ich fühle mich nicht wohl. Ich ziehe mich zurück.«
Noch bevor Volfango reagieren konnte, hatte sie bereits den Raum verlassen. Wütend schlürfte er seinen Tee. Was wollte seine
Frau von diesem vornehmen Schwächling, fragte er sich aufgebracht. Plötzlich kam ihm eine Idee. Hastig sprang er auf, befahl,
zwei Pferde zu satteln, und rief nach Franzin.
Während er auf den Ausgang zuschritt, tauchte plötzlich Santuzza auf und stellte sich ihm in den Weg.
»Was gibt’s, du dummes Ding?«
»Entschuldigt, Herr.«
»Geh mir aus dem Weg!«
Santuzza trat zur Seite, lief aber hinter ihm her. »Entschuldigt, Signore«, ihre Stimme klang erregt, »Donna Eufrasia hat |227| mir aufgetragen, Euch zu sagen, dass sie nach Palermo reisen wird. Hat sie Eure Erlaubnis?«
»Sie kann gehen, wohin sie will, und du auch.«
Er ging zu seinem Pferd, streichelte es und schwang sich in den Sattel. »Folge mir«, befahl er Franzin. Dann nahm er den Zügel
straffer und dachte daran,
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