Ich kenne dein Geheimnis
ihr Schluchzen nicht hörte. Bis zum Morgengrauen hatte
sie wach gelegen, deprimiert und voller Angst vor der Zukunft. Diese Nacht war der Beginn einer langen Leidenszeit gewesen.
Eufrasia blickte in den Spiegel und wischte sich entschlossen die letzten Tränen aus dem Gesicht. Sie griff nach einem Gepäckstück.
»Bringt den Rest in die Kutsche!« Als sie den Reisehut aufgesetzt hatte, betrachtete sie sich ein letztes Mal prüfend im Spiegel.
Sie war bereit.
In der Nähe der Ländereien der Familie Regalmici verlangsamten Baron d’Altino und Franzin ihren Ritt. Unter ihren zahlreichen
Landgütern war der Besitz unweit von Palermo |230| Don Ferdinando und seiner Tochter Oliva das liebste. In einer herrlichen Villa, die auf den Überresten eines antiken Jagdschlösschens
errichtet worden war, verbrachten sie die Sommermonate. Inmitten der Natur, weit genug entfernt vom hektischen Treiben Palermos,
wo sie im Winter in einem luxuriösen Stadtpalais lebten. Das Landgut umfasste einen Weinberg, einen Olivenhain, unzählige
Obst- und Mandelbäume sowie eine Seidenplantage, die von den Bauersfrauen besonders sorgfältig gepflegt wurde. Die schönste
Jahreszeit war für Oliva der Sommer, wenn sie mit ihren Freundinnen und Cousins über Wiesen und Wälder reiten und sich an
den frischen Früchten gütlich tun konnte. Nach einer wilden Jagd ruhten sie sich meist im Schatten eines mächtigen Feigenbaums
aus, erschöpft, aber glücklich. Sie plauderten über neue und alte Liebschaften und warteten darauf, dass die Sonne etwas weniger
unbarmherzig vom Himmel brennen würde.
Zitternd vor Erregung ließ Baron d’Altino sein Pferd Schritt gehen. Er blickte sich aufmerksam um, in der Hoffnung, nicht
auf den Marchese zu treffen. Er wollte ganz sicher sein, obwohl Balà ihm bereits berichtet hatte, dass Don Ferdinando in diesen
Tagen im Stadtpalais weilte. Doch d’Altino verließ sich nicht gerne auf Informationen aus zweiter Hand. Plötzlich hörte er
Hufgetrappel zu seiner Rechten. Ein junger Reiter kam auf sie zu. Franzin warf einen fragenden Blick auf seinen Herrn, der
ihm bedeutete abzuwarten. Inzwischen war der Reiter näher gekommen. Er trug einen federgeschmückten Filzhut, der einen Teil
seines Gesichtes verdeckte, gegen den Staub hatte er ein Tuch vor den Mund gebunden. Kurz bevor er sie erreicht hatte, blieb
er stehen und legte die Hand auf den Knauf seines Schwertes. Seine Stimme klang merkwürdig hoch: »Wer seid Ihr? Wie könnt
Ihr es wagen, ohne Erlaubnis die Ländereien Don Ferdinandos zu betreten?«
|231| Auch die Hand des Barons tastete nach dem Schwert: »Ich bin Barone d’Altino, und das ist mein Diener Franzin. Ich bin in friedlicher
Absicht gekommen, um dem Marchese und seiner Tochter Oliva meine Aufwartung zu machen. Und wer seid Ihr?«
»Überraschung!« Der junge Mann löste das Tuch, setzte den Hut ab und öffnete die zusammengebundenen Haare. »Oliva, Ihr?«,
rief d’Altino überrascht. Sein Gesicht glühte. Fasziniert beobachtete er, wie sie ihre Jacke ein wenig öffnete, so dass man
die Ansätze ihrer Brüste erkennen konnte, auf denen Schweißtropfen perlten.
Ihr schallendes Lachen erinnerte eher an einen Mann als an eine Frau. Franzin starrte sie an, aber Oliva achtete nicht auf
ihn. Ihr ganzes Interesse galt dem Baron. Sie lächelte ihm zu, senkte den Blick, um ihm dann tief in die Augen zu sehen. In
ihrem Blick lag etwas Unergründliches, dem d’Altino nicht widerstehen konnte. Nur mit Mühe die Beherrschung wahrend, befahl
er seinem Diener, sich zurückzuziehen. Er hätte nie gedacht, dass eine Frau in Männerkleidung eine solche Wirkung auf ihn
haben könnte. Franzin gehorchte schweren Herzens, ließ sein Pferd erst Schritt, dann Trab gehen und war schließlich ganz verschwunden.
Oliva und Volfango blickten sich schweigend an, voll drängender Ungeduld, aber auch mit einer gewissen Scheu. Doch dann, als
hätten sie sich abgesprochen, stiegen sie von ihren Pferden und schritten aufeinander zu. Oliva streckte die Arme aus, Volfango
umfasste ihre zitternden, schweißnassen Hände. Sanft zog er die Marchesa an sich, sog den würzigen Duft ihres Körpers ein
und küsste ihre Lippen. Seine Hand streichelte ihre Hüften. Oliva erwiderte seinen Kuss und ließ ihre Zunge fordernd in seinem
Mund umherwandern. Volfango verlor fast den Verstand. Er riss ihr Jacke und Hemd |232| vom Leib, nestelte an ihrem Gürtel herum, so ungestüm, dass
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