Ich kenne dein Geheimnis
die Tasche. Die Worte Maleachis würden sie den Tag über begleiten und auch den Einsatz des Spazierstocks rechtfertigen,
den sie manchmal bei ihren Angestellten einsetzen musste, die versuchten, sie übers Ohr zu hauen. Während sie die Bibel zuklappte,
bemerkte sie ein kariertes Zettelchen, das aus der Ledermappe lugte. Neugierig zog sie es heraus, und ihr Gesicht hellte sich
auf. Es war die Rechnung für die Renovierung des Häuschens, das sie, ohne einen Pfennig dafür auszugeben, von Salvatore Lucignano
übernommen hatte, einem Trinker und Spieler, der sich hilfesuchend an sie gewandt hatte, um seine Schulden zu begleichen.
Ein weiterer Sohn aus gutem Hause, der sie früher verachtet hatte und dann winselnd angekrochen kam.
Sein Haus war eine Bruchbude gewesen, aber ihr Architekt Giuseppe Gueli hatte es in ein Schmuckstück in Weiß und Ziegelrot
verwandelt.
Maria las die Endsumme und lächelte zufrieden. Dieser Gueli hatte fast umsonst gearbeitet. Nicht, dass sie das wunderte. Peppe
Gueli war schon als Kind genügsam, diszipliniert, respektvoll und bescheiden gewesen, ein Abbild seines Vaters Tonino. Maria
Manniti war zufrieden, dass ihm auch sein Prädikatsexamen an der Cornell University nicht zu Kopfe gestiegen war. Unter dem
Rechnungszettel fand sie einen weiteren Umschlag mit Rosalys Fotos, die die verschiedenen Bauphasen dokumentierten. Das Häuschen
war wirklich wunderschön geworden. Wenn ihr Vater noch leben würde, wäre er bestimmt fuchsteufelswild geworden. »Du hast diese
Familie entehrt!« Noch heute hatte sie sein Schreien in den Ohren und spürte den gleichen Schmerz wie damals, als sie aus
dem Haus gestürzt war, um sein Gebrüll nicht mehr hören zu |266| müssen. Doch ungestraft hatte er sie nicht davonkommen lassen. Und die Gelegenheit dazu hatte sich bald geboten. Die Rache
ihres Vaters war noch brutaler gewesen, als sie es sich je hätte vorstellen können. Sie schauderte, wenn sie nur daran dachte.
Ihr Vater war zum Mörder geworden.
»Verflucht seist du, Vater, wo auch immer du bist«, murmelte sie, und eine einzelne Träne rann ihre Wange hinunter.
Sie riss ein weiteres Blatt ab und schlug erneut die Bibel auf. Dieses Mal landete sie im Alten Testament, beim ersten Buch
der Makkabäer, Kapitel drei:
Er spürte die Abtrünnigen auf und verfolgte sie und die, die das Volk verführten, bestrafte er mit Feuer.
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Smeralda lag noch im Bett. Zum Lesen hatte sie keine Lust. Sie schob die Tageszeitungen und Illustrierten, die Raquel ihr
gebracht hatte, beiseite. Das hatte Zeit. Auch wenn sie sich allmählich von dem Schock zu erholen begann, machte ihr die Realität
immer noch Angst. Ob bei den Fernsehnachrichten, beim Zeitunglesen, immer hatte sie diesen Druck im Magen. Sie fühlte sich
wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Unterdrückte Wut, dachte sie und hatte sofort wieder den Mann vor Augen, der dafür verantwortlich
war. Dieser Mann, Alptraum der Vergangenheit und der Gegenwart, hatte sie am Vorabend angerufen. »Was hast du nur mit meinem
Freund angestellt«, hatte er sie mit honigsüßer Stimme gefragt. Dann war er plötzlich aggressiv geworden. »Er hat sich über
dich beschwert, du hättest seine Wünsche nicht erfüllt.«
Smeralda hatte geschwiegen. Besser, nichts sagen. Die Bilder und Gefühle der Vergewaltigung durch diesen Mann waren wieder
präsent, mit ungeahnter Heftigkeit drängten sie sich in ihre Gedanken und ließen die alten Ängste erneut aufleben.
»Dieses Mal verzeihe ich dir noch, Scila, aber wag es nicht noch einmal, einen so mächtigen und großzügigen Mann wie Pelori
abzuweisen, der so viel für uns getan hat, dich eingeschlossen.«
Smeralda hätte ihm gerne ins Gesicht geschleudert, dass sie vor nichts und niemandem mehr Angst hatte. Was hatte sie |268| noch zu verlieren? Aber da machte sie sich etwas vor, sie hatte sehr wohl etwas zu verlieren. »Es wird nicht wieder vorkommen«,
gab sie klein bei. Bevor er das Gespräch beendet hatte, musste sie ihm versprechen, sich bei Pelori zu melden. »Ich verlasse
mich auf dich. Und sei dieses Mal netter …«
Smeralda nahm die Zeitschriften und schmiss sie wütend wieder aufs Bett. Dabei fiel ihr Blick auf die Titelseite der Celebrity.
In der rechten unteren Ecke ein Foto von De Gubertis mit einer Blondine, darunter die Schlagzeile: »De Gubertis’ neue Geliebte
Nathalie Lohan. Wie reagiert Smeralda Mangano?« Smeralda blätterte hektisch
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