Ich kenne dich
nach zwanzig Uhr nichts mehr auf der Straße zu suchen, egal, ob sie diesen Kinderschänder schnappen oder nicht.«
Ich konnte nicht aus dem Fenster sehen, weil der Fahrer die Innenbeleuchtung angelassen hatte, um mich besser im Rückspiegel anstarren zu können. Ich fühlte mich betrunken und versuchte, gerade zu sitzen und nicht durch den Mund auszuatmen.
Kinderschänder. Kein normales Vergehen. Ein besonders abscheuliches Vergehen. Unser Triebtäter war was Besonderes. Wie Terrys Vogelfamilie – eine seltene Art.
»Wie spät ist es, bitte?«
»Kurz vor Mitternacht. Seltsame Uhrzeit, um deinen Bruder zu treffen, muss ich sagen. Oder nicht?«
Ich ignorierte ihn und trommelte mit den Fingern auf die Knie. Machte mir Sorgen um meinen Bruder, der in der Kälte auf mich wartete. Stellte ihn mir vor – auf und ab gehend, die Hände in den Jackentaschen, die Kapuze seines Parkas fast ganz ins Gesicht gezogen.
Die Wärme und der sanfte Vanilleduft des Polstershampoos, das wohl verwendet worden war, nachdem das letzte Mal jemand auf den Rücksitz gekotzt hatte, ließen meine Augenlider schwer werden. Das leise Radiogeplapper murmelte weiter, während das Taxi durch die fast leere Stadt tuckerte und hinaus auf vertraute Landstraßen, wo wir nur an roten Ampeln hielten. Ich war fast eingenickt, als der Wagen stehen blieb. Ich hatte mich beruhigt. Vielleicht war ich auch ein bisschen nüchterner.
»Ich sehe niemanden«, sagte der Fahrer. »Soll ich warten? Dann muss ich allerdings die Uhr weiterlaufen lassen. Aber es ist ja nicht so, als hättest du nicht genug Geld.« Er deutete mit einem Nicken auf das Bündel, das heiß und feucht geworden war in meiner Faust, die in meinem Schoß ruhte.
»Ich komm schon klar.«
»Trotzdem, besser, du tust das weg. Steck es hinten in deine Jeans, und mach die Jacke zu. Dort draußen treiben sich alle möglichen Spinner herum.«
»Er hat aufgehört.«
»Was?«
»Dieser Kinderschänder, der Triebtäter. Er hat es aufgegeben.«
»Ach was, der hat schon wieder zugeschlagen. Gleich zweimal in der letzten Woche. Einmal im Schwimmbad, und das andere Mal hinter dem Sportplatz.« Er nannte den Namen meiner Schule, und ich fröstelte. »Es wird immer schlimmer. Die Mädchen werden immer jünger. Die Letzte wollte er vor der Schule in ein Auto zerren. Anscheinend trägt er eine Maske. Wo hast du gesteckt? Es läuft ständig in den Nachrichten.«
Ich staunte, wie abgeschnitten von allem Barbara und ich in unserer Trauer waren. Sie hatte das Interesse an Terry verloren, und Donald war nicht da, um seine Nachrichten zu schauen. Es war einfach gewesen, in unser eigenes Schattenreich aus Spätfilmen und Lange-Schlafen zu gleiten. Barbara sah sich Donalds Videos an, bis sie einschlief. Die richtige Welt hatte sich auf die andere Seite der immer geschlossenen Vorhänge zurückgezogen.
»Das macht jetzt dreizehn, oder?«
»Vierzehn. Von denen wir wissen. Ich schätze, es gibt noch ein paar mehr, aber die haben zu viel Angst, es ihren Eltern zu sagen. Niemand darf davon erfahren. Sie schämen sich, weil sie zu betrunken waren, um sich zu erinnern, oder weil sie gar nicht hätten draußen sein dürfen. Ich schätze, die Zahl liegt eher bei zwanzig.«
Ich überlegte kurz. Fragte mich, was das bedeutete. Wenn Wilson der Täter war, dann lebte er noch, dann trieb er sich immer noch irgendwo dort draußen herum. Und wenn es jemand anderes war – höchstwahrscheinlich Videomann oder einer wie er – warum hatte er dann eine Weile aufgehört? Niemand glaubte an den Witz mit dem kalten Wetter, nicht wirklich. Zwanzig von uns.
»Also gut, ich pass schon auf.«
»Die Polizei fährt überall Streife. Pass auf, dass du nicht ausatmest, wenn du an denen vorbeigehst, außer du willst umsonst nach Hause gebracht werden.«
Er lachte.
»Meinetwegen.«
»Dein Bruder ist nicht da?« Er tippte auf das Taxameter.
»Vergessen Sie es«, erwiderte ich. »Ich weiß, wo er auf mich wartet.« Ich steckte einen Zwanziger durch die Öffnung in der Plexiglaswand, die uns trennte. Er sah auf den Schein, dann auf das Taxameter und behauptete schließlich, ihn nicht wechseln zu können.
»Behalten Sie den Rest. Stimmt so.«
Ich stieg aus und schlug die Tür zu.
Die Kälte traf mich wie ein Hammer. Der Wind machte es noch schlimmer. Richtig aggressiv, diese Kälte – schwer, es nicht persönlich zu nehmen. Ich rannte zitternd los und presste die Zähne zusammen, weil ich wusste: Würde ich sie klappern lassen,
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