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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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der Büchse waren beinahe verblasst. Ich starrte eine Weile darauf, während ich sie miteinander flüstern hörte. Die Zeit verstrich. Jede Minute oder so schluchzte Chloe auf – ein leiser, halb erstickter Laut des Ekels und der Angst.
    Es war kein Blowjob. Dafür hätten sie im Wagen bleiben können. Unvorstellbar, dass sie es hier draußen trieben, ohne eine Decke mitzunehmen. Und sowieso, warum sollten sie? Ich hatte nicht viel Ahnung davon, aber ich wusste, dass es unter null Grad war. Also kein Blowjob, und die Silhouetten, die ich durch die Bäume hindurch sah, waren gebeugt und bewegten sich getrennt voneinander. Ich hörte das Schleifen von Metall über einen Stein. In diesem Moment wusste ich Bescheid. Es war kein Schock. Zweimal hielt er inne und ging zu ihr hinüber, um ihr auf den Rücken zu schlagen, während sie sich übergab.
    »Herrgott noch mal, Chloe.«
    Plötzlich war ich innerlich ganz ruhig. Ruhiger, als ich mich in den letzten drei Wochen gefühlt hatte. Und sehr weit weg. Die Überlegungen, die mich so sehr aufgeregt hatten – über Donald, oder Wilson, über Chloe und Emma und meine Situation in der Schule, über meinen Ärger auf Barbara – , alles schmolz weg, bis nur noch ein einziger, knallharter Gedanke übrig war.
    Ich hätte für sie gelogen. Ich wusste es – ich hätte Carl begleitet und diesen Job für sie erledigt, und ich hätte es bis in alle Ewigkeit für mich behalten. Kein Ärger. Hätte mich mit ihm abgewechselt und das glatte Holz des Spatengriffs durch meine Hand rutschen gespürt. Hätte mit Carl schweigend zusammengearbeitet – kein Kneifen, kein Jammern, kein Sich-Übergeben hinter einem Baum. Sondern Arbeiten – richtig schuften, in der Totenstille des Waldes, nichts als unseren Atem, um im Takt zu bleiben. Ich bin stärker, als ich aussehe.
    Wie lange würde es dauern? Wie lange waren sie schon hier? Ich dachte an die gefrorene Erde und den steinharten Boden; der Spaten klang, als würde er auf Beton stoßen. Chloe war keine Hilfe – ich konnte sie wimmern hören. Sie war nicht gemacht für so eine Arbeit. Hatte nicht die nötige Ruhe. Ich hätte es machen können. Ich hätte es für sie getan.
    Man stelle sich das vor – ich, blass und zerschrammt, mit schmutzigen Haaren, während ich mit Carl arbeitete und mich durch die Kälte schwitzte. Und anschließend zurück zu ihrem Haus.
    Abgesetzt am Ende ihrer Straße und durch die Hintertür in ihr Zimmer. Sie würde warten – durch die Vorhänge spähen, während das Nachtlicht sanft leuchtete. In ihrem rosa Flanellpyjama und den Pantoffeln mit den Hasenohren. Duftend nach White Musk von The Body Shop und dem Vanille-Textil-Erfrischer, den ihre Mutter für die Teppichböden benutzte. Wenn ich hereinkam, würde sie mir die Schuhe ausziehen und die Socken und dann meine restlichen Klamotten und mich in die Badewanne stecken mit den Badeperlen, die sie zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, und mir die Haare waschen und die Erde unter meinen Fingernägeln entfernen und meine wunden Handflächen eincremen. Ihre Hände auf meiner Haut. Ich würde ein Nachthemd von ihr anziehen, und sie würde mich in ihrem Bett schlafen lassen. Niemand würde je davon erfahren – nicht unsere Eltern, nicht Emma – niemand.
    Das alles hätte ich getan.
    Ich holte tief Luft und schlich rückwärts über die Zweige und Äste, so leise ich konnte, bis ich weit genug entfernt war, dass ich glaubte, dass sie mich nicht mehr hören konnten, und rannte los. Ich stolperte ein- oder zweimal. Faulende Holzklötze, ein alter Fahrradrahmen, der halb im Laub vergraben war, und totes Gestrüpp. Lief über eine Matratze und merkte erst, was es war, als der Untergrund plötzlich schwammig wurde und die Nässe aus dem Inlett hochgluckerte und meine Sportschuhe aus Stoff an den Seiten durchnässte.
    Ich erreichte die Hauptstraße – den warmen orangefarbenen Schein der Straßenlampen, die gelbrote Leuchtreklame der Tankstelle. Das Brummen des unregelmäßigen Nachtverkehrs. Ich streckte die Hand aus, um mitgenommen zu werden – den Daumen, so wie sie es in Filmen machen. Ich glaube, das funktioniert nur in Amerika.
    Ich hätte für sie gelogen, und sie hatte mich nie darum gebeten.
    Armer Wilson. Er würde niemals nach Hause kommen.
    Ich versuchte, mir auszumalen, was passiert war. Hatte Carl ihn umgestoßen, und sein Kopf war gegen einen Stein geknallt oder gegen einen umgestürzten Baumstamm? Hatte Carl, frustriert darüber, dass ein Mongo

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