Ich kenne dich
zusammenzulegen.
Ich kam ein oder zwei Stunden später, als ich angekündigt hatte. Amanda öffnete die Tür und drückte mit einem erleichterten Aufschrei die ganze Luft aus mir heraus ( Herzchen! Tapferes Mädchen! ), bevor sie mich bat, ums Haus herumzugehen und meine Schuhe in der Küche auszuziehen ( die Teppiche sind frisch gereinigt, mein Engel ). Als ich die Küche betrat, sah ich die ganzen Nüsse und Pinzetten, die auf der Anrichte ausgebreitet waren und darauf warteten, dass Chloe und ich loslegten. Die Gegenstände glänzten, als würden sie sich besonders viel Mühe geben, mir ein schlechtes Gewissen zu machen.
Chloe war auch in der Küche. Sie redete demonstrativ mit mir, ein langer, gebrabbelter Satz über das Wetter und den Schnee und dass sie ihre Haare waschen müsse und dass sie gedacht habe, ich hätte es vergessen. Amanda stellte sich neben sie und beobachtete, während sie die Hände in den Taschen ihrer Strickjacke bewegte. Nachdem Amanda den Fernseher aus Chloes Zimmer geholt hatte, setzte Chloe noch mal einen drauf und redete von da an überhaupt kein Wort mehr mit ihr. Chloe hatte mir erzählt, dass sie sich sogar weigerte, mit ihren Eltern gemeinsam zu essen, damit sie glaubten, dass sie sie in die Magersucht getrieben hatten, und vor lauter schlechtem Gewissen einlenkten.
Es funktionierte. Sie sah schrecklich aus. Ihre Haare waren so stumpf, dass sie klebrig wirkten, und sie hatte Schlaf in den Augen, gelb verkrustete Wimpern, die mich an einen kranken Hund erinnerten, den Donald einmal gefunden hatte. Er hatte darauf bestanden, das Tier im Schuppen unterzubringen, bis es ihm besser ging und es »in die Wildnis freigelassen« werden konnte, um wieder Mülltonnen zu plündern. Sie war auch sehr dünn – so dünn, wie ich immer sein wollte – , was sie krank und blass aussehen ließ, schlechter als damals, als sie im Krankenhaus war. Sie sah nicht mehr hübsch aus, aber ich wollte immer noch nicht die Küche durchqueren und mich neben sie stellen. Ich wollte nicht meine Schenkel mit ihren vergleichen.
»Seit drei Wochen schlafe ich keine Nacht länger als vier Stunden«, hatte sie gesagt, nicht besonders stolz.
Sie machte sich krank. Das hatte sie mir selbst gesagt, weshalb ich dachte, die meisten dieser Symptome wären nur eine Masche, ein Mittel zum Zweck, damit ihre Eltern nachgaben. Ich glaubte nicht, dass etwas ernsthaft nicht stimmte. Da ich wusste, was sie mit sich herumschleppte, hätte ich es wohl besser wissen müssen.
»Sie kaufen mir lauter Sachen, damit ich was esse«, hatte sie vergnügt erzählt und mir ihren neuen Walkman gezeigt.
»Wow«, hatte ich pflichtbewusst geantwortet. »Kann ich deinen alten haben?«
»Ich lasse euch beide mal alleine, ja?«, sagte Amanda, rührte sich aber nicht vom Fleck. Sie war wie Emma, wartete auf die Einladung, mitzumachen.
»Lola«, sagte Chloe und drehte den Körper zu mir und weg von ihrer Mutter. »Ich springe mal kurz unter die Dusche. Meine Haare sind widerlich. Kannst du dich eine Viertelstunde lang selbst beschäftigen?«
»Klar«, sagte ich, der Anfang eines Satzes, dessen Ende Chloe nie hören würde, weil sie bereits aus dem Raum geflitzt war und die Tür hinter sich zuschlug.
Amanda betrachtete kopfschüttelnd das Loch in der Luft, das Chloe hinterlassen hatte. Genau wie den Duft ihres White-Musk-Parfüms, das sie zu Weihnachten bekommen hatte.
»Oje«, sagte sie leise und drückte auf den Schalter am Wasserkocher. Ich lauschte dem Zischen des Geräts, das sich erhitzte.
»Ich bin froh, dass du und Chloe euch jetzt wieder öfter seht«, sagte Amanda. »Aber nicht, dass du deswegen Ärger mit deiner Mutter kriegst.«
»Barbara hat nichts dagegen«, sagte ich.
Chloes Schritte polterten über unseren Köpfen. Die Dusche wurde angestellt. Sie spülte sich immer das Make-up ab und schminkte sich hinterher neu.
»Ja, aber Chloe hat so oft bei euch übernachtet. Wir müssen uns unbedingt revanchieren. Wir haben ein Klappbett gekauft. Du kannst also hier schlafen, wann immer du willst.«
Ich registrierte »so oft bei euch übernachtet«, ohne es mir anmerken zu lassen, und dachte an Carl. Und während ich nach wie vor den Mund hielt, so gut ich konnte, fragte ich mich wütend, ob das Klappbett ein Geschenk für mich war, als Wiedergutmachung dafür, dass Donald ertrunken war. Chloe darf ihren Freund nicht mehr sehen und bekommt einen Walkman. Von Sony, nicht von der Billigmarke, die ich habe. Donald ertränkt sich, und
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