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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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Barbara mich nicht zur Schule schickte und ich meine Uniform selber bügeln musste, genoss ich fast die nächsten paar Tage in der Schule. Zu Hause war es seltsam, leiser als sonst und theoretisch angenehmer, weil Barbara es aufgegeben hatte, mich zu irgendwas zu zwingen. Ich aß Fastfood vor ihr, trug die Haare für die Schule offen und ließ die Butter und die Marmelade den ganzen Tag draußen stehen. Ich ließ die ganze Nacht das Licht im Bad an, nur probehalber, und sie sagte keinen Ton. Ich glaube nicht, dass es ihr überhaupt auffiel. Ich qualmte weiter in meinem Zimmer, klaute ihren Gin und ließ die Flasche auf meiner Fensterbank stehen. Diese plötzliche Freiheit hätte alles besser machen müssen, aber da war noch etwas anders mit dem Haus, was ich nicht mochte. Ein Luftanhalten, eine lang gezogene Erwartung, dass Donald nach einem langen Nickerchen aus seinem Zimmer schlurfte oder zu spät zum Abendessen erschien. Seine Zeitschriften kamen weiter, und wir taten so, als würden wir es nicht bemerken – wir ließen sie in ihren Plastikhüllen in der Diele liegen, bis Barbara auf einer ausrutschte. Daraufhin schmiss sie den ganzen Haufen weg.
    Ich wollte unbedingt in die Schule, wahrscheinlich zum ersten Mal überhaupt. Dort herrschte nicht dieses Schweigen. Dort erwartete man nicht jemanden, der gar nicht da war. Und nach dem Schulterklopfen und dem Getuschel und den ersten beiden Tagen durfte ich mich einfügen, mehr oder weniger, an meinen alten Platz, bloß dass von mir nicht erwartet wurde, zu den Versammlungen zu gehen oder im großen Speisesaal zu essen, wenn mir nicht danach war. Ich ließ Chloe bei mir im leeren Klassenzimmer sitzen, während die anderen der Morgenansprache lauschten, und wir warteten, bis sie vorüber war und der Unterricht beginnen konnte. Ich hasste die Morgenversammlung, und es machte mir nichts aus, sie zu verpassen. Langweilige Meldungen über Schulsportgeräte und Warnungen, dass, wenn wir nicht vernünftig waren, die Stadt tatsächlich eine Ausgangssperre verhängen würde, ob es uns passte oder nicht. Die Versammlungen für die ganze Schule fanden in der Sporthalle statt – und wir mussten unsere Schuhe ausziehen. Ich erinnerte mich nie an die besonderen Mitteilungen, weil ich mich immer darauf konzentrieren musste, so zu sitzen, dass meine Fußsohlen nicht den Boden berührten. Denn wenn das geschah, wenn ich aufstand, um mit den anderen im Gänsemarsch hinauszugehen, hinterließ ich feuchte, verschmierte Fußabdrücke auf dem PVC , der die Farbe von blauer Zahnpasta hatte.
    Ein Todesfall in der Familie verschafft einem ein paar Vorteile. Die Hinterbliebenen werden auf eine Art zu etwas Besonderem, was sie vorher definitiv nicht waren. Und durch die Nähe zu mir, während sie mir ständig am Arm hing und die Aufmerksamkeit und Fragen der Leute von mir wegrunzelte (würde dir das gefallen? Glaubst du, sie möchte gerne daran erinnert werden?), profitierte auch Chloe davon. Sie hatte Hausarrest, wahrscheinlich für immer, aber Amanda machte eine Ausnahme für mich, weil ich ihre beste Freundin war und ich sie brauchte. Und natürlich waren Chloe und ich oft alleine zusammen. Sie hatte mich noch nicht ins Vertrauen gezogen, aber ich bearbeitete sie, und ich spürte, dass wir uns in diese Richtung bewegten. Sie war so besorgt, dass sie mich in dieser Woche noch mal zu Hause besuchte und ihre Polaroidkamera mitbrachte und ein paar ihrer besonderen Klamotten.
    »Lass mich dich schminken«, sagte sie und ließ ein Lächeln in den Mundwinkeln zucken. Sie hatte ihr Schminktäschchen dabei. Sie war dünner geworden. »Ich style dich, und dann machen wir ein paar Fotos. Das wird dich aufheitern.«
    »Ich weiß nicht«, entgegnete ich und zierte mich absichtlich ein bisschen.
    »Komm schon.« Sie war fröhlich und munter. »Leg Musik auf. Trink was. Das wird lustig.«
    Sie zeigte mir eine Anleitung für Smokey Eyes in der Just Seventeen , die sie ausprobieren wollte. »Ich schminke dich, und du kannst mich schminken«, sagte sie. »Wie in alten Zeiten. Weißt du noch, dass wir das früher in den Sommerferien oft gemacht haben?«
    Ich erlaubte ihr, meine Wimpern zu tuschen, obwohl es immer damit endete, dass sie mir mit der Bürste ins Auge stach.
    »Ta-da!« Sie zwinkerte mir zu und redete mit ihrem bescheuerten amerikanischen Akzent. »Du siehst aus wie eine Million Dollar, Baby!«
    »Ich komme mir blöd vor«, sagte ich, während ich mich in dem kleinen Handspiegel

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