Ich kenne dich
Reihe, aufzuspringen und ins Bad zu rennen. Der bittere Kaffee in meinem Magen, in dem bereits billiger Wein herumschwappt, ist plötzlich zu viel, und ich hocke mich auf den Rand der Badewanne und lasse den Kopf zwischen den Knien hängen. Ich denke an klares kaltes Wasser, an Brunnen und Lagunen und an Quellen auf dem Meeresboden. An hydrothermale Spalten und das zugefrorene, unterirdische Meer auf dem Mond Triton. Die Kacheln im Bad haben lauter Seifenspritzer, und ich starre darauf und versuche, das Rauschen des Meers zu hören, alle möglichen anderen entspannenden, beruhigenden Dinge, und beiße die Zähne so fest zusammen, dass ich meinen Kiefer knacken höre.
Eine Frage der Zeit.
Ich beuge mich über die Toilette, klappe den Deckel hoch und übergebe mich leise und ergiebig, bis ich leer bin und nüchtern. Als ich zurückkehre, ist Emma eingeschlafen.
27
Es passiert nichts Neues. Terry beendet die Hotline-Umfrage, und das Programm wiederholt sich. Wiederholungen von der damaligen Original-Rekonstruktion, als würde das Band in einer Endlosschleife laufen. Es kommt einem vor wie damals: die wiederholten Warnungen, wegen der Ausgangssperre und dass wir immer zu zweit gehen sollten. Die Schuluniformen sehen falsch und veraltet aus, und mir wird bewusst, dass sogar die spannendsten Dinge langweilig werden, wenn sie oft genug wiederholt werden.
Ich frage mich, ob Melanie und Dawn sich selbst im Fernsehen sehen – und zusammenzucken, weil der weiße, dellige Speck an ihren Oberschenkeln unter dem stramm sitzenden Rocksaum hervorquillt, während sie auf dieser Bank sitzen. Sie müssen sich den Arsch abgefroren haben. Ich frage mich, wie oft sie die Szene wiederholen mussten – wie viele Versuche, bevor das Resultat genau dem entsprach, worauf die Polizei aus war? Hin und wieder wird Chloe der Form halber erwähnt, aber ihre Eltern sind längst nach Hause gegangen, und der dekorierte Spaten wurde eingepackt und weggeschafft. Als Emma aufwacht, starrt sie auf den Bildschirm, als wäre das alles neu für sie.
»Weißt du noch, die ganzen Befragungen, die wir hatten?«, sagt sie, und ich erinnere mich. Ich sitze mit ihr auf meiner Couch und erinnere mich an das Klassenzimmer oben. An die Warterei, daran, wie wir auf die Blumen vor der Schule starrten und uns über die verschiedenen Sorten unterhielten – sogar darüber, welche uns am besten gefielen – , als wären wir in einem Gartencenter. Ich erinnere mich an die Grünlilie und an Emmas zu enge Schulstrümpfe.
Die Befragungen der Polizei zogen sich über drei Wochen hin. In dieser Zeit durften wir in den Aufenthaltsräumen der Lehrer sitzen und Tee aus den Tassen der Lehrer trinken und geheime Zimmer in der Schule sehen – verrauchte Gemeinschaftsräume hinter Türen, hinter denen ich nur Schränke vermutet hatte oder den Heizungsraum, Reihen von Haken mit Jacken und Schirmen, und der Anblick – zart und aufregend – von Shanks Lunchpaket, eingewickelt in Alufolie mit sauber eingeschlagenen Ecken, das in einer zerfetzten Plastiktüte an einem Haken baumelt.
»Die haben eine Menge Leute befragt«, erwidere ich, was nur die halbe Wahrheit war.
Ein Morgen mit Shanks und der ganzen Klasse, bis sie ihre wahren Freunde ermittelt hatten. Dann der Fokus auf mich und Emma – als wären wir Kriminelle. Ich erinnere mich an den Ausdruck in Emmas Gesicht, als sie uns um Fotos von Chloe baten. Wir sahen uns an, feindselig und fragend, und ich ahnte, dass etwas im Busch war, und sie ahnte, dass etwas im Busch war, und die Polizistin, die uns befragte, schob das Aufnahmegerät sehr sanft mit dem Finger in unsere Richtung und stellte uns Fragen zu Carl.
Niemand wollte, dass es Selbstmord war. Niemand wollte, dass die Stadt ein Ort war, an dem vierzehnjährige Mädchen aus gutbürgerlichen Elternhäusern von der Südseite des Flusses sich ertränkten. Sie wollten jemanden dafür verantwortlich machen. Terry wollte jemanden dafür verantwortlich machen – wahrscheinlich hätte er versucht, Chloes Tod Wilson anzuhängen, hätte er die zeitlichen Abläufe ändern können, damit die Daten passten.
»Ich habe ihn nur ein paarmal gesehen«, sagte ich. »Chloe ging erst seit dem Herbst mit ihm.«
»Seit Halloween«, warf Emma dazwischen. Ich nickte. Das stimmte ungefähr.
»Wisst ihr, was sie von ihm dachte, was die beiden für eine Beziehung hatten?«
Emma sagte nichts. Wir waren im Lehrerzimmer, und ich folgte ihrem Blick hoch zu den rechteckigen Fenstern –
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