Ich kenne dich
verbot mir, ihm zu sagen, dass sie krank war. Sie sagte, ich soll hingehen und mir irgendeine Ausrede einfallen lassen.«
»War das das erste Mal, dass sie dich zu ihm geschickt hat?«
Emma schüttelt den Kopf. »Von wegen«, stieß sie verbittert hervo r. »Chloe wusste alles über mich. Es war ihr egal. Ich glaube, manchmal dachte sie, lieber die als ich. Dann hatte sie eine Nacht lang Ruhe.«
»Nein«, sage ich.
»Klar doch. Wie, glaubst du, sind wir denn sonst Freundinnen geworden? Schau sie dir an, und schau dir mich an. Uns. Wofür hätte sie uns sonst haben wollen? Sie hätte dich früher oder später in seine Richtung geschubst.«
Ich erinnere mich an das letzte Mal, als Chloe ihre Kamera mitbrachte. Dieses eine Mal war nicht ich die Fotografin, und nur dieses eine Mal betrachtete sie mich. Noch Monate und Jahre danach brauchte ich nur die Augen zu schließen und spürte wieder die kühle Berührung ihrer Finger auf meiner Haut, während sie meine Lider straffte, um Eyeliner aufzutragen. Ich hatte mich so geliebt gefühlt.
»Hast du ihn an jenem Abend getroffen?«
»Ich sollte ja, aber er ist nicht aufgetaucht. Ich habe anderthalb Stunden bei der Schaukel gewartet. Bis ein Typ vorbeikam, der mich fragte, ob ich Geld verdienen will. Sie sind wie Vampire. Ich bin nach Hause gerannt.«
»Es war also doch dieser Abend«, sage ich und muss an meine Flucht durch die Dunkelheit denken, an den Wagen, der in der Nähe des Parks unter der Brücke parkte. An Kondenswasser, das von der gewölbten Unterseite auf das Wagendach tropfte. Emma war auch draußen gewesen und wartete bei der Schaukel, während sie beobachtete, wie die Straßenlampen sich von rötlich über orange zu gelb erhellten.
»Er war mit mir zusammen«, sage ich. »Ich habe ihn angerufen. Hab ihm gesagt, dass Chloe krank ist. Dass wir reden müssen. Er ist mit mir an eine einsame Stelle gefahren. Das war der Abend, an dem er es bei mir versucht hat.«
»So besorgt warst du also um sie?«
Ich schaue weg und zünde mir eine Zigarette an.
»Ich wusste zu dem Zeitpunkt, dass sie nicht schwanger war. Ich war vorher im Krankenhaus gewesen. Ich war sauer auf sie.«
»Du bist von selbst zu ihm gegangen. Niemand hat dich gezwungen.« Emma klingt verärgert. »Und er hat dich geküsst. Du warst in seinem Wagen. Noch was?«
Ich nicke und denke an seine Hände. Denke, dass die Küsse eine andere Art waren, mich zu schlagen, mich zum Schweigen zu bringen.
»Ist er romantisch geworden?«, fragt sie.
»Nein, so war es nicht.« Ich erinnere mich an seinen Speichel auf meiner Wange. Ich war noch glimpflich davongekommen.
»Manchmal war er das nämlich«, sagt Emma. »Die Geschenke und so. Hin und wieder, wenn er mit uns fertig war, jammerte er darüber. Erwartete, dass man ihn tröstete.« Sie grinst ungläubig. »Und ich habe das auch noch getan! Als hätte ich ihm was Schreckliches angetan, etwas, das er nicht ausstehen konnte, ohne darauf Rücksicht zu nehmen. Als wäre ich doppelt so groß wie er und diejenige, die den Wagen fährt. Gib mir was zu trinken.«
Ich gieße den Wein in ihre Kaffeetasse. Sie lächelt nicht richtig, sondern öffnet nur leicht den Mund und zeigt ihre Zähne. »Und manchmal hat es mir sogar gefallen. Wenn er sanfter war und es richtig gemacht hat.«
»Ich will das gar nicht hören. Wenn es so toll war, hätte Chloe dich nicht an ihn rangelassen, oder?«
Emmas Zähne sind fleckig vom Wein.
»Darum ist sie gestorben. Das war nicht aus Liebe, wie alle sagen. Carl hat ihr was angetan, er wollte sie loswerden, und irgendwas ist schiefgegangen und endete damit, dass er auch ertrank. Er hat sie ins Wasser gezwungen, weil sie ihn jeden Moment bei ihren Eltern hätte verpfeifen können. Er wäre in den Knast gewandert. Sie hätte sich nie umgebracht, nur weil ihre Eltern ihr Steine in den Weg legten, um den Kontakt zu unterbinden. Sie hätte das als Herausforderung betrachtet.«
»Sie war deprimiert«, flüstere ich.
»Sie hat sich trotzdem weiter mit ihm getroffen. Das passt nicht zusammen. Carl hat ihr etwas angetan, und du und ich – wir haben dazu beigetragen, dass jeder das falsch sieht. Valentinstag!«, schnaubt sie.
»Wir haben nur die Wahrheit gesagt«, erwidere ich. »Über das Armband, seinen Wagen. Sie hat das alles wirklich gemocht.«
Emma deutet wieder auf den Fernseher. »Das wird nie aufhören. Nach ihrem Tod dachte ich, es spielt keine Rolle mehr, nicht, nachdem er auch tot war. Wir waren alle wieder sicher,
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