Ich kenne dich
Arme durch die Luft, als würde sie schwimmen.
Selbst als sie schon ziemlich weit von uns entfernt war, wirbelte sie weiter herum und ließ ihre Mähne flattern und lachte.
»Blöde Kuh«, sagte Carl, aber seine Augen waren gebannt von ihr. Ich beobachtete ihn, nicht Chloe. Ich sah, dass er jedes Mal zusammenzuckte, wenn sie wackelte.
»Geh raus in die Mitte!«, rief ich, und Carl ging einen Schritt näher an den Rand und nahm die Hände aus den Taschen, sagte aber nichts.
Er hätte es beenden können. Beide hätten es von jetzt auf gleich beenden können. Ich wollte, dass sie aufhörte. Ich wollte, dass sie ihre Möglichkeiten abwog und erkannte, dass ihre einzige und beste Wahl war, sich mir wegen Wilson anzuvertrauen. Dafür brauchte sie nur auszupacken und mich in das Geheimnis einzuweihen, das sie hütete. Ich war ihre beste Freundin. Ich kam als Erste. Sie hätte mir mit allem vertrauen können. Alles, was ich tat, war, sie zu ermutigen: Ich sorgte dafür, dass das Auspacken eine leichtere, attraktivere Möglichkeit war als das Nicht-Auspacken. Sie wusste, dass sie nicht auf das Eis hinauszugehen brauchte; es gab keinen Druck. Ich drängte sie nicht, ich legte nicht Hand an sie.
Chloe begann, das Tempo zu erhöhen, und rutschte auf flachen Sohlen, während sie in einer immer enger werdenden Spirale zur Mitte Kreise um den Weiher zog. Die andere Seite lag im Schatten überhängender Bäume. Als sie darunter entlangflitzte, konnte ich nur noch das Aufblitzen ihrer weißen Hände und Turnschuhe sehen, die durch die Luft schwebten, als wären sie vom Körper abgetrennt. Wäre ich da draußen gewesen, wäre ich bestimmt gestürzt. Ich hätte mir den Knöchel verdreht oder das Gleichgewicht verloren und wäre mit dem Hinterkopf auf die gläserne Oberfläche geknallt oder hätte mir eine Prellung im Rücken geholt.
»Sie denkt, sie ist in einem Film«, sagte ich, obwohl ich wusste, dass Carl nicht zuhörte. Er zuckte mit den Schultern und knurrte leise, was nicht wirklich eine Antwort war, und mich überkam das Bedürfnis, Chloe den Rücken zuzukehren. Sie spielte sich nur so auf, wenn andere Leute zusahen. Dafür war Emma da. Am liebsten hätte ich Carl gesagt, dass, wenn er sich um Chloe Sorgen machte, die schnellste Methode sei, sie vom Eis zu kriegen, dass wir uns beide umdrehten und zurückgingen und uns in den Wagen setzten.
Nicht, dass ich besonders scharf darauf gewesen wäre, abzuhauen und mich alleine mit Carl in den Wagen zu setzen. Chloe hätte dann vielleicht zunächst Schiss bekommen, dann hätte sie geredet und wäre schließlich heruntergekommen vom Eis und wieder in Sicherheit gewesen.
Sie kam näher, aus dem Schatten heraus, und versuchte, sich um die eigene Achse zu drehen. Die Sohlen ihrer Turnschuhe verfingen sich in einer Rille oder Unebenheit im Eis, die ich nicht sehen konnte, und sie lachte wegen nichts und benutzte den linken Fuß wie einen Kehrbesen, um das Eis glatt zu fegen. Ich beobachtete sie und sah Barbara, die mit der Spitze ihres Pantoffels den Teppichflor vor- und zurückstrich und stundenlang ins Leere starrte, bis es dunkel war und es nichts mehr zum Anstarren gab.
»Da sind lauter Steine!«, rief sie und winkte mit beiden Händen über dem Kopf, als wären Carl und ich hunderte von Meilen entfernt. »Da hat einer Steine geschmissen. Hier liegen hunderte herum.«
»Komm jetzt runter«, sagte Carl, aber in seiner Stimme war noch ein Lächeln. Er klang nicht mehr besorgt und machte einen weiteren Schritt vorwärts auf den äußersten Eisrand. Seine Turnschuhe waren nicht zugeschnürt und dunkel verfärbt an den Spitzen, wo der blaue Leinenstoff im nassen Gras feucht geworden war. Ich nestelte an dem Verschluss meiner Schuljacke, die ich zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte, und betrat auch das Eis.
Es hatte nichts mit Carl zu tun. Chloe probierte immer als Erste alles aus, was ich akzeptierte, während sie akzeptierte, dass sie den Weg antestete und ich ihr kurz darauf folgte. Carl hatte nichts damit zu tun.
»Wo sind deine Stiefel?«, fragte ich, vorsichtig. »Wieso hast du nicht deine Stiefel an?«
Carl sah mich an. Sagte lange nichts.
»Ich wollte sie nicht mehr«, antwortete er. »Sie waren dreckig.« Ich starrte ihn an, und er lachte. »Na und?«
»Kommt ihr?«, rief Chloe, und wir zögerten beide, ich und ihr Freund Carl, und warteten, jeder einen Fuß auf dem Eis. Chloe schob weiter seitlich mit dem Schuh die Steine weg. Es waren graue, eckige Splitter –
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