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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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Industriegebiet im Hafen oder Naturreservate oder abends der Bahnhof oder die Rückseite des Busbahnhofs, wo er im Schatten auf den verwaisten Haltespuren parkte, während die Busse sicher im Depot standen. Nie Kinos oder der Rummelplatz oder die Bowlingbahn.
    »Friede und Heil den Menschen«, sagte ich. Keine Ahnung, warum. Es war ein sinnloses Herumspielen mit Wörtern und Ausdrücken, das Chloe und ich öfter machten, wenn wir alleine unterwegs waren – wir schnatterten uns gegenseitig die Ohren voll über unsere ineinander verhakten Arme hinweg, während wir spazieren gingen. Es hatte nichts zu bedeuten; es war nur ein harmloser Körperkontakt, wenn wir zusammen durch die Gegend zogen. Ein Automatismus. Chloe lachte. Carl hielt an, schaltete den Motor aus und blickte zwischen den Vordersitzen zu mir nach hinten.
    »Los, aussteigen.«
    Er war schroffer als sonst. Er erzählte uns keine Witze, hatte weder Süßes noch Zeitschriften noch Kippen für mich dabei. Er scheuchte mich aus dem Wagen: Offenbar hatte er Chloe vermisst.
    »Und pass schön auf.«
    Das sagte er tatsächlich und deutete mit dem Daumen durch die Scheibe nach draußen. Wenn er Schokolade wäre, würde er sich selber fressen, das wollte ich ihm sagen, während ich Chloe anblickte und still um moralische Unterstützung bat. Sie trug ein Armband mit klimpernden Anhängern um ihr superschmales Handgelenk und große goldene Kreolen in den Ohren. Er hatte ihr den Schmuck vorhin gegeben, noch in der Elizabeth-Duke-Tüte, und sie hatte sich so eifrig daraufgestürzt, dass ihr nicht auffiel, dass er sich die Mühe gespart hatte, die Sachen einzupacken, und dass er mir nichts mitgebracht hatte.
    »Chloe?«
    Aber Chloe sah ihn an, die Lippen gespitzt.
    Fast hätte ich zu Carl gesagt: Das übt sie immer vor dem Spiegel, das hat sie aus der Just Seventeen .
    Sie klappte die Zungenspitze hoch gegen die Schneidezähne und streckte ihm ihre feuchten Lippen entgegen, weil sie in einer Zeitschrift gelesen hatte, dass das sexy aussah. Ihre Haare waren straff zu einem Pferdeschwanz gebunden, abgesehen von zwei langen Strähnen vorne. Sie befeuchtete sie immer mit Spucke und wickelte sie um ihren Finger, wenn sie darauf wartete, dass er kam und uns abholte. Kam man in ihre Nähe, rochen die beiden geringelten Strähnen wie ihr Morgenatem. Das wollte ich ihm auch sagen.
    »Also los, husch, husch«, sagte Carl und griff nach hinten, um die Wagentür aufzustoßen. Chloe sagte nichts, also musste ich aussteigen.
    Ich entfernte mich rasch, bevor ich noch explodierte. Ich traute mir selbst nicht, aber ich hatte auch keine große Lust, nach Hause zu laufen. Carl würde wie ein Arsch reagieren, lachend davonfahren und mich mitten in der Pampa stehen lassen. Das wusste ich, und ich wusste auch, dass Chloe in seiner Gegenwart nicht für mich Partei ergreifen würde, also tat ich, was man mir sagte. Ich hielt Wache und postierte mich ein Stück vom Wagen entfernt am Rand des Parkplatzes. Es war kalt, und ich zog die Ärmel meiner Strickweste über die Hände. Ich stampfte mit den Füßen und verlagerte mein Gewicht von einer Seite auf die andere.
    Es war nur ein Parkplatz, man konnte nirgendwohin gehen, aber ich setzte mich trotzdem in Bewegung, immer im Kreis vor der Tafel, auf der die Karte des Reservats abgebildet war und Zeichnungen von Schlüsselblumen und Hermelinen und anderen seltenen Arten, nach denen man hier Ausschau halten konnte. Jemand hatte ein Feuerzeug an die Plexiglasscheibe über der Karte gehalten und sie an mehreren Stellen angesengt. Der Kunststoff war geschmolzen und schwarz-braun verfärbt. Die Tropfen verdeckten einen Teil des Textes.
    Das ist doch scheiße hier , dachte ich und warf einen Blick zurück zum Wagen, ein dunkler, undeutlicher Klotz, abgesehen von dem alarmierenden Aufleuchten von Chloes neuem weißen Pullover. Ich zog die Hände in die Ärmel meiner Jacke zurück und hielt sie vor dem Bauch wie einen Muff. Ich hätte Handschuhe einstecken sollen. Ich hätte zu Hause bleiben sollen. Carl sagte etwas zu Chloe. Ich konnte ihn nicht klar erkennen, aber ich sah, dass Chloe am Fell ihrer Jackenkapuze zupfte und vorsichtig lachte, während sie nickte.
    Ich weiß nicht, warum alles, was Chloe anzog oder besaß, immer weiß oder pastellrosa oder babyblau sein musste. Warum alles aus Kaschmir oder Federn sein musste, flauschig und weich. Es war eine Art Markenzeichen von ihr. Etwas, für das sie bekannt war. Die Leute konnten in einen Laden gehen

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