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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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seltsam. Als wäre er taub oder würde sich über einen Tauben lustig machen. Als wäre er ein Kind. Dabei sah er nicht aus wie ein Kind. Zu alt. Zu groß, um mit einem Fußball herumzulaufen. Die Kinder waren den ganzen Vormittag draußen gewesen. Ich hatte sie auf der Straße gesehen. Sie liefen mit ihren neuen Flugdrachen herum, probierten ihre neuen Fahrräder aus und testeten die neuen Rollerblades auf dem vereisten Gehweg. Aber dieser Junge, dieser Mann, musste älter sein als ich. Vielleicht sogar schon in Carls Alter – dreiundzwanzig, schätzte ich. Uns hatte er erzählt, er wäre einundzwanzig.
    Ich blickte wieder auf seine Hände.
    »Was machst du hier? ’tschuldigung?« Er war laut. Genervt, aber sehr höflich. Es war schräg.
    Ich wollte ihm gerade sagen, dass er sich um seinen eigenen Scheiß kümmern sollte, dass er abzischen sollte, als mir klar wurde, was er war. Einer von diesen … Ich hatte das Wort vergessen, aber ich wusste, dass es eins gab.
    Barbara nannte sie »Engel« und behauptete, sie wären anders als richtige Menschen. Eher wie Kinder oder Tiere. Sie meinte, sie könnten nicht zwischen richtig und falsch unterscheiden, weil sie keine eigene Seele hätten, jedenfalls nicht so wie normale Menschen. Man könne sie nicht für ihr Verhalten verantwortlich machen, genauso wenig wie kleine Kinder.
    Mongos. Das war das Wort.
    So hießen sie in der Schule. Ich habe mich mal mit einem unterhalten – seine Eltern hatten ihn einmal in die Kirche mitgenommen an Weihnachten. Sonst musste er immer zu Hause bleiben, aber er wollte unbedingt die Krippe sehen. Es war okay. Ich dachte jedenfalls, es wäre okay.
    »Ich warte bloß«, antwortete ich achselzuckend. Ich beschloss, mit ihm zu reden wie mit einer richtigen Person, und deutete mit einem Nicken auf seinen Fußball. »Hast du den zu Weihnachten bekommen?«
    »Ja, zu Weihnachten bekommen. Ganz neu. Der Beste, den es zu kaufen gibt«, erwiderte er und lächelte.
    Seine Zähne sahen lustig aus. Sie waren nicht abstoßend oder so, er hatte nur Lücken zwischen den einzelnen Zähnen. Sie sahen aus wie Milchzähne, obwohl das keine sein konnten, weil er älter war als ich, und ich hatte damals keinen einzigen Milchzahn mehr. Kann mich nicht mal erinnern, wann ich den letzten verloren habe.
    Er trug eine gute, wasserdichte Jacke – teure Markenware – und einen violetten Schal, der unter seinem Kinn verknotet war und dessen Enden in den Ausschnitt gesteckt waren. Irgendjemand hatte ihn warm eingepackt, bevor er rausgelassen wurde, um mit seinem neuen Ball zu spielen. Irgendjemand kümmerte sich um ihn. Ich stellte mir seine Mutter vor, vielleicht im selben Alter wie Barbara, was älter ist als der Durchschnitt. Peinlich.
    Das kommt davon, wenn man zu lange wartet mit dem Kinderkriegen. Ich erinnerte mich wieder, das hatten wir mal im Bio-Unterricht. Ich stellte mir faltige Hände vor, die den Schal um seinen Hals banden und die Zipfel unter der Jacke verstauten. Eine weißhaarige Person, die ihm einen Kuss auf den Kopf gab, bevor sie ihn zum Spielen hinausschickte. Wahrscheinlich wurde er gehänselt, weil er so eine alte Mutter hatte, so wie ich früher, bevor ich anfing, mit Chloe abzuhängen.
    Tatsächlich wäre das vermutlich das Letzte, womit man ihn aufziehen würde. Zumindest an einer Schule wie meiner. Mongos gehen doch zusammen auf eine Schule, oder? Dann wurde er vielleicht doch gepiesackt. Bloß dass es nicht sein konnte, dass er jetzt noch die Schulbank drückte. Ich konnte sein Alter nicht wirklich schätzen, aber mein Beschützerinstinkt war geweckt.
    »Hat der Weihnachtsmann dir schöne Geschenke gebracht?«, fragte er und sah mich aus dem Augenwinkel an. Seine Augen waren auch lustig. Ich hätte es sofort sehen müssen. Die haben alle solche Augen. Ich wusste nicht, ob das ein Scherz sein sollte, das mit dem Weihnachtsmann. Es war möglich, dass er lächelte, aber die Falten waren nicht an den richtigen Stellen in seinem Gesicht, darum konnte ich es nicht sicher sagen. Selbst Hunde sehen manchmal aus, als würden sie lachen.
    »Ja«, antwortete ich. »Gutscheine für Topshop. Ein paar CD s. Hörst du gerne Musik?«
    Er gab keine Antwort, und ich schüttelte den Kopf und wandte mich ab. Ich glaube es nicht, dachte ich, ich glaube es einfach nicht, dass ich hier draußen in der beschissenen Kälte stehe und mich mit einem Mongo darüber unterhalte, was der Weihnachtsmann mir gebracht hat. Scheiße auch.
    »Ginger Spice!«, rief er, und

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