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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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den Wasserströmungen, aber die muss ich erst noch belegen, damit sie für andere nachvollziehbar sind. Es gibt dort Organismen, die es dort nicht geben dürfte. Ich bin mir nicht sicher, ob es am Licht liegt, an der Temperatur, am Mineralvorkommen oder an was anderem. Ich muss rausfahren und einen Messpunkt suchen.« Er ließ die Scheibe kreisen. »Dafür ist die Messung da. Wissenschaft ist präzises Messen, mehr nicht. Denk daran, wenn du deine Prüfungen machst«, sagte er und zeigte lächelnd auf mich, bevor er weiterredete, versunken im Strudel seiner eigenen Worte.
    Ich brauchte nicht zuzuhören. Donalds Erklärung war überflüssig. Ich hatte seine Rede über präzises Messen schon viele, viele Male zuvor gehört. Die Bewerbung für die Sea Eye war aus dem Nichts gekommen, eines von Donalds kleinen Sonderprojekten, und davon hatte es viele gegeben. Meistens beschränkten sie sich auf das Horten von Büchern und Zeitungen und darauf, Bilder aus Zeitschriften an die Wand in seinem Zimmer zu kleben. Aber dieses Projekt, seine neueste »Phase«, war ein bisschen weiter fortgeschritten als die anderen, an die ich mich erinnern konnte. Manchmal glaubte ich wirklich daran, dass er in der Bucht von Morecambe eine – ganz neue – Entdeckung machen würde, und dann würde ich ihm helfen, den Bericht zu schreiben, und er würde ihn anschließend dem Expeditionsleiter schicken und dürfte tatsächlich teilnehmen.
    Die Menschen machten ständig neue Entdeckungen, warum also nicht auch jemand, der sich wirklich anstrengte? Es würde Donald glücklich machen, und alles wäre normal. Nicht »normal wie früher«, denn solange ich mich erinnern konnte, war Donald immer ein wenig seltsam gewesen, aber es würde sich alles normalisieren, und dann würde auch Barbara ein bisschen lockerer werden, und ich würde mich auf wundersame Weise in der Schule verbessern, und alles würde einfacher sein, als es war.
    Barbara kehrte uns den Rücken zu, das Messer zwischen ihren Fingern wie einen Stift.
    »Warum dein Vater meint, er müsste sich von seinem Kumpel ein altes klappriges Boot ausleihen und hinausfahren in die Bucht durch den Schwimmsand und die Priele und die Wattströme, höchstwahrscheinlich auch noch illegal, obwohl er kaum schwimmen kann, geht über meinen Verstand hinaus«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. Sie hatte es lange genug zurückgehalten und konnte nicht länger an sich halten.
    »Barbie, du kannst ja mitkommen, wenn du willst. Ich könnte jemanden gebrauchen, der Notizen macht«, sagte er. »Deine Mutter hat eine wunderschöne Handschrift.«
    Ich prustete, und Barbaras Schulterblätter rückten zusammen, obwohl sie keinen Ton von sich gab. Es konnte sein, dass sie lachte oder bloß stumm hustete.
    »Überleg es dir«, sagte Donald, erhob sich und schob knarrend seinen Stuhl zurück. Er gestikulierte mit den Händen. Ich fand, er hatte Ähnlichkeit mit Michael Aspel. »Denk an die Romantik. An den Sand, das Meer. Im Mondlicht über das Wasser treiben … «
    »… durch eine Strömung von ungeklärtem Abwasser«, sagte Barbara und rollte ihre Rs.
    Donald zuckte mit den Achseln.
    »Deine Mutter hat keine Fantasie, weißt du das? Das weiß sie natürlich selbst – warum hätte sie sich sonst einen Visionär ausgesucht wie mich?« Er zwinkerte. Es entstand ein kurzes Schweigen. »Und weißt du, was ich heute in der Bücherei entdeckt habe?« Er begann, in den Unterlagen auf dem Tisch zu kramen und steckte seine hellen Wurstfinger in abgegriffene Aktenhalter.
    »Ich möchte jetzt den Tisch decken, Donald.«
    »Das kann ich gleich machen«, erwiderte er. »Kümmere du dich um deine Tomaten, und halt mal die Füße still, ja?«
    Sie seufzte, aber sagte nichts weiter.
    Er drehte sich wieder zu mir.
    »Gut, Lola, wirf mal einen Blick hier drauf. Du hast jetzt schon zwei Schuljahre mehr auf dem Buckel als dein Vater, darum mache ich jetzt einen kleinen Test mit dir. Beschreib mir, was du hier siehst. Wir treten gegeneinander an. Deine Qualifikationen gegen mein autodidaktisches Lerntraining. Ein Pfund für dich, wenn du richtig antwortest.«
    Er knallte die Münze auf den Tisch, und ich zog das Blatt Papier zu mir heran. Es war langweilig, Barbara auf diese Art vertreten zu müssen.
    Auf dem Blatt war ein unscharfes Bild, kopiert aus einer Zeitschrift, das ich zuerst für gemalt hielt. Ein Drache. Die Kreatur hatte Zähne, milchige, fast durchsichtige Zähne. Sie sahen aus, als wären sie aus Knorpel oder aus Eis. Das

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