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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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Ding bestand nur aus Maul, mit Augen wie verschrumpelte Walnüsse seitlich am Kopf.
    »Wieder ein Fisch, Dad? Willst du los und so einen fangen?«
    »Unwahrscheinlich«, antwortete er. »Die leben so tief unten im Meer, dass sie wahrscheinlich implodieren und sich in Fischpaste verwandeln, wenn man sie raufholt.«
    »Wirklich?« Mein Interesse war – gegen meinen Willen – geweckt. Er hatte mir schon viele Geschichten erzählt. Über Fische, die über den Meeresboden kriechen wie Würmer, über Fische, die ihr eigenes Licht produzieren, über durchsichtige, giftige Quallen in der Größe von Autos, die in riesigen Schwärmen umherschweben, groß wie Fußballstadien.
    Ich studierte das Foto, obwohl Barbara laut mit dem Besteck klapperte. Zum einen tat ich Donald den Gefallen, weil er schon lange nicht mehr für irgendwas so viel Enthusiasmus gezeigt hatte, seit Monaten nicht. Zum anderen sollte es eine Wiedergutmachung für das blöde Weihnachtsgeschenk sein. Ich hatte Angst, dass das Funkeln in seinen Augen erlöschen würde und er sich wieder in sein Bett verkroch, wenn niemand mitspielte.
    »Oh, ich weiß nicht«, sagte Donald, aber er lächelte immer noch. »Kann sein, dass ich die Fakten ein bisschen gedehnt habe. Hier und da ein bisschen ausgeschmückt. Warum auch nicht? Aber sieht sie nicht aus wie ein Fabelwesen?«
    »Das ist ein Weibchen?«, fragte ich zweifelnd. Ich beugte mich vor und ging nah an das Bild heran, während ich auf die Schattierungen starrte. »Woher weißt du das?«
    Donald schlug mit den Händen auf den Tisch. Ich fuhr erschrocken hoch. Das war die Kehrseite der Medaille: plötzliche Ausbrüche und Begeisterungsanfälle wegen nichts.
    »Bei Gott, sie kommt der Sache näher! Sieh genau hin. Rate weiter.«
    Barbara murmelte an der Spüle »Herrgott!«, aber sie drehte sich nicht um und verlangte auch nicht, dass wir aufhören und den Tisch abräumen sollten. Ich behielt ihren Rücken im Auge.
    »Ist das Ding trächtig?«, fragte ich und musterte wieder die Aufnahme. Das Vieh war rund, aber Fische tragen keine Babys im Bauch wie Säugetiere, oder? Das kann gar nicht sein, weil es sowas gibt wie Fischeier, die man essen kann. »Was ist das, was da an ihr dranhängt?«
    »Was vermutest du?«, entgegnete Donald und schob mit dem Finger die Münze in meine Richtung, um sie dann gleich wieder wegzuziehen. Er hatte mich eine Ewigkeit nicht mehr gefoppt. Es war nur ein Pfund, aber ich schnappte danach, und er legte flach die Hand darüber und lachte. Ich machte mir Sorgen, dass er auf den Gedanken kommen könnte, ich wäre zu alt für sowas. Ich starrte wieder darauf, aber die Tintenpunkte, aus denen das Bild bestand, waren zu groß, und je intensiver ich draufstarrte, desto weniger konnte ich erkennen. Das Beste wäre, überlegte ich, das Blatt kurz zur Seite zu legen und dann schnell einen Blick darauf zu werfen. Es glauben lassen, es wäre in Vergessenheit geraten, und es dann überraschend wieder herzunehmen, sodass die Punkte und Schatten sich sinnvoll zusammenfügten, statt sich aufzulösen in ein Puzzle unter dem hellen Licht, in dem es betrachtet wurde.
    »Ist das ein Babyfisch, der da an der Seite hängt? Das Foto ist ziemlich unscharf, Dad.«
    »Dafür gebe ich dir fünfzig Pennys«, sagte Donald, stand auf und klimperte mit dem Kleingeld in seiner Hosentasche. »Es ist ein Fisch, aber es ist nicht ihr Baby.«
    »Was dann?«, fragte ich und nahm die Ein-Pfund-Münze vom Tisch, während Donald damit beschäftigt war, in seinen Hosentaschen nach fünfzig Pence zu kramen.
    »Das ist das Männchen. Es hat sich in ihrer Seite festgebissen und pumpt sein Fortpflanzungssekret in sie hinein durch eine Röhre zwischen seinem Maul und ihrer Brutkammer. Der Prozess nimmt so viel Zeit in Anspruch, dass das Männchen im Laufe der Tage oder Wochen oder Monate – vielleicht sogar Jahre, das wissen wir nicht genau – schrumpft, seine Organe absterben und es völlig auf sie angewiesen ist, was die Nahrungsversorgung angeht.«
    »Also wie ein Baby?«
    »In mancher Hinsicht ja«, antwortete Donald und wagte einen Blick zu Barbara. Ich konnte nicht sagen, ob sie zuhörte oder uns ignorierte.
    »Genauer gesagt, ist es ein Parasit, weil es dem Weibchen nichts liefert außer dem Fortpflanzungssekret, das ich vorhin erwähnt habe. Tatsächlich könnte man sogar sagen … « Er schnippte ein Fünfzig-Pence-Stück auf den Tisch. Im ersten Moment war ich enttäuscht: Ich wollte, dass er so tat, als würde er es

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