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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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unsere Antworten. Welcher Typ Freundin bist du? Multiple Choice. Chloe las die Fragen vor und markierte ihre Antworten mit einem Kreuz, meine mit einem Haken. Am Schluss zählten wir die Punkte zusammen. Ich dachte an Chloe, wie sie mit den Fingern rechnete. Sie trug manchmal dünne Goldringe mit birnenförmigen Schmucksteinen oder Herzen, in die ihre Initialen eingraviert waren.
    Hatte Emma einen festen Freund? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Sie hatte fettige Haut, und ihre Hände waren eckig und grau und zupften immer an ihrem elastischen Sockenbund herum. Hatte Chloe ihr einen Freund besorgt? Einen Kumpel von Carl? Ich stellte mir vor, wie sie zusammen ausgingen. Spitze Schuhe, Weihnachtsparfüm – zwei Pärchen im Wagen. Carl machte nachts Wendemanöver mit der Handbremse auf leeren Supermarktparkplätzen, weil er Chloe gern kreischen hörte. Ich hielt sie dann immer auf dem Rücksitz fest und stemmte mich gegen die Hintertür, wenn sie auf mich rutschte – mit wehenden Haaren und klackendem Kiefer. Ich schrie nie, aber ich wette, Emma brüllte sich die Seele aus dem Leib. Sobald sie wusste, was erwartet wurde, passte sie sich an. Sie machte Gymnastik, bis ihre Waden so stramm waren, dass die Socken nicht mehr passten und ihre Blutung ausblieb.
    Beim nächsten Test ging es um Hauttypen, und ich drückte auf meiner Stirn herum und versuchte, über T-Zonen und trockene, gespannte Haut nachzudenken, während ich aus dem Fenster starrte. Der Reif auf dem Rasen wurde dichter. Jeder einzelne Halm war mit einer graublauen Schicht Puderzucker überzogen. Auf dem Pfad gab es dunklere Stellen, wo das Eis im warmen Licht, das durch die Glasscheiben in der Haustür fiel, geschmolzen war. Ich dachte an nichts weiter. Es war bloß Eis. Die Wolkendecke war schwer, und die Temperaturen lagen seit dem ersten Weihnachtstag im Minusbereich – aber noch kein Schnee. Ich ließ die Zeitschrift neben das Bett heruntergleiten. Als ich eindöste, träumte ich von Carl, der einen altmodischen Holzschlitten anschob, einen großen Hügel hinunter. Im Traum beobachtete ich ihn und hatte Angst, aber ich war zu klein und zu weit weg, um ihn aufzuhalten.
    Zehn Minuten vor Mitternacht. In der Glotze sang ein Typ mit einer blonden Dauerwelle »The Final Countdown«. Kein guter Song, tatsächlich fand ich ihn sogar ziemlich schlecht, aber ich wusste, weil Donald mitsummte und mit den Füßen im Takt auf den Läufer vor dem Gaskamin klopfte, dass mir die Melodie tagelang nicht mehr aus dem Kopf gehen würde.
    Barbara hatte mich runtergerufen, als das Silvester-Buffet angerichtet war, hübsch dekoriert auf dem Couchtisch. Man wusste nicht, ob man es essen oder fotografieren sollte. Die Tomaten waren geschrumpft und lagen auf Kuchentellern in ihren Pfützen aus hellrotem Saft.
    »Nun, das ist nett, nicht?«, sagte Barbara und tätschelte ihre Knie. Ein Stapel grüne Servietten mit goldenen Glocken lag bereit. Ein richtig großer Stapel – als wäre das hier eine richtige Party – , und die oberste Serviette hatte sie zu einem Fächer gefaltet. So viel Mühe.
    Ich blickte auf den Weihnachtsbaum, der inzwischen seiner Knallbonbons und Weihnachtsglocken aus Schokolade beraubt war. Ungefähr jetzt, dachte ich und sah auf die Uhr, während ich mir Luftschlangen-Sprühdosen vorstellte und perlmuttfarbene Luftballons, gefüllt mit weißem und silbernem Konfetti. Alle würden sich gegenseitig abknutschen um Punkt Mitternacht – Chloe und die Freunde der Familie und der limitierte Alkoholvorrat. Die Erwachsenen würden alle so besoffen sein, dass Chloe keine Probleme haben würde, sich heimlich aus dem Haus zu schleichen, um Carl zu treffen. Ich dachte an ihre Münder, die sich bewegten wie bei Fischen – an das feuchte Schmatzen, wenn sie meine Anwesenheit vergaßen. Wenigstens wären da noch die Cousins und Cousinen zum Reden gewesen. Donald wuschelte mir durch die Haare, grinste mich an und drehte sich wieder zum Fernseher.
    »Naa, na na na«, sang er nun, ganz leise. »Ich habe nie zu diesem Lied getanzt.«
    Barbara gähnte und stand auf. »Ich bringe besser den Müll raus und mache kurz den Herd sauber. Dauert nur zwei Sekunden.«
    Sie war beschwipst. Ihre Lippen waren weich, und ihre Worte fransten an den Kanten aus und liefen ineinander. Es war eine Art Brauch von Barbara, eine Familientradition, die sie versuchte, an mich weiterzugeben. Nicht, sich einen anzutrinken, denn obwohl Silvester war, hatte ich nicht einen Schluck Alkohol

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