Ich kenne dich
schleifte mich in den Laden. Er kauerte in einem Pool aus verstreuten Zeitungen, hinter ihm der Ständer mit Schlagseite. Donald murmelte ruhig vor sich hin, während die Kunden über das Chaos hinwegstiegen. Er kämpfte damit, die Seiten in die richtige Reihenfolge zu legen, und jede Seite sah gleich aus: Bilder von dem halb zugefrorenen Fluss, kahle, geweißte Bäume, eingemummte Kinder, die auf Serviertabletts aus Metall die Anhöhen hinunterrutschten, Spalten über Spalten mit eng bedruckten Zeilen über die globale Erwärmung.
Ich sah, wie seine gepflegten Hände durch die Seiten raschelten, und hörte das Flüstern des Papiers. Sein Kopf war nach vorne gebeugt, und die kahle Stelle auf seinem Schädel glänzte demütigend. Barbara drängelte sich an mir vorbei und kniete sich neben ihn, um die Zeitungen zusammenzulegen, wobei sie langsam vorging, ohne etwas zu sagen, und ihre Schulter gegen seine stieß.
Ich zögerte auf der Matte vor der automatischen Schiebetür, spürte, wie sie hinter mir zuglitt und aufsprang, während der elektronische Sensor unter meinen Füßen sich nicht sicher war, was er mit einem Gewicht machen sollte, das so lange verharrte.
Bleibst du, oder gehst du?
Der Luftzug in meinem Nacken war eisig.
Ich dachte wieder an Chloe – natürlich. Ich hatte inzwischen aufgehört, mir sie und Emma auf der Silvesterparty vorzustellen – der Alkohol, die Luftschlangen, die Spritztour spätnachts in Carls Wagen. Nun dachte ich darüber nach, wann ich sie das nächste Mal wiedersehen würde – wie ich auf sie zugehen würde. Ich war beinahe entschlossen, so zu tun, als hätte ich sie glatt vergessen, weil ich ganz plötzlich auf eine Last-Minute-Party entführt worden war. Aber das wäre durchschaubar und albern. Chloe würde süffisant grinsen und mich meine Geschichte erzählen lassen, als täte sie mir einen Gefallen. Emma würde mich offen auslachen und mir die Fotos zeigen – sie und Chloe in Abendkleidern, die Haare hochgesteckt, während sie »Auld Lang Syne« sangen. Noch schlimmer, wenn sie hier vorbeikämen und mich bei WHS mith auf dem Boden knien sähen mit meiner ganzen Familie, Zeitungen sortierend, während die Verkäuferinnen zu uns herüberstarrten.
Die Schiebetür schloss sich, dann öffnete sie sich wieder hinter meinem Rücken. Barbara hob den Kopf.
»Geh nach Hause«, sagte sie leise. »Geh und schäl die Kartoffeln. Wir kommen gleich nach.«
Ich ging.
9
Die Klingel summt.
Es ist ein surrendes, prasselndes Geräusch, das ich nicht leiden kann. Das Gehäuse der Sprechanlage ist nicht richtig festgeschraubt, und das Plastik klappert gegen die Wand, und dieses Geräusch scheppert durch die Wohnung und direkt in meine Zähne und meinen Schädel. Es ist schrecklich, aber ich habe nie etwas unternommen, um es zu reparieren, weil ich nicht so oft Besuch bekomme.
Ich wende mich vom Fernseher ab und stolpere in den Flur. Ich streiche meine Haare glatt und bürste Chipskrümel von meinem Pullover. Meine Zähne werden graublau sein vom Wein, aber so richtig.
»Hallo?«
Emmas Stimme knarzt durch den Lautsprecher. »Ich bin’s. Lässt du mich rein?«
Es widerstrebt mir, die Tür aufzudrücken, aber die Klingel surrt wieder, direkt neben meinem Ohr. Ich spüre das Geräusch, bevor ich es höre, während es gegen meinen Kiefer pocht.
»Emma?«
»Komm schon, es ist kalt hier draußen. Mach die Tür auf.«
Ich stelle sie mir vor, mit hochgezogenen Schultern im Eingangsbereich, während sie eindringlich in die Sprechanlage flüstert. Sicher angefressen, weil ich unschlüssig bin.
»Hast du mitgekriegt, was passiert ist?« Ihre Stimme klingt näselnd und hallend. »Ich habe mir das … « – ich glaube, ich kann sie seufzen hören – »… zwei Stunden lang reingezogen. Habe zufällig auf das Programm geschaltet, gerade als er anfing zu graben. Mir war nicht bewusst, dass heute der Jahrestag ist.«
Das ist eine Lüge, und wir beide wissen das.
»Ich habe es auch gesehen«, sage ich. »Der Spielfilm um neun ist ausgefallen.«
»Lola?«
»Den wollte ich mir anschauen«, erkläre ich. Ich denke an meine Abendroutine. Der Film, die Chips, der Wein. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal Besuch hatte in meiner Wohnung.
»Lola? Ich steh immer noch hier unten.«
»Okay«, sage ich schließlich. »Ich lass dich jetzt rein. Nimm nicht den Aufzug – da hat jemand reingepisst.«
Die Warnung vor dem Aufzug mag stimmen oder nicht. Es stinkt dort immer, aber es
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