Ich kenne dich
Frage der Zeit sei, bis jemand einen dummen Sprung machte und sich den Schädel am Betongrund aufschlug.
Ein paar der Pfosten standen aber noch, und sie ragten aus dem Eis wie Bäume, deren Astwerk komplett gestutzt worden war. Die Beule im Eis befand sich zwischen den zwei Pfosten, die am weitesten vom Ufer entfernt waren. Ich ging so dicht wie möglich an das Eis heran, ohne daraufzutreten, und starrte hinüber. Wäre ich mutiger gewesen, wäre ich auf das Eis hinausgegangen oder auf die flachen alten Holzpfosten gestiegen und hätte sie benutzt wie Trittsteine, um zur Wassermitte zu gelangen. Ich war nicht so mutig. Ich beugte mich nur vor und blinzelte gegen den Wind und starrte eine Weile auf die Beule, bis sich der Umriss zu einem Gegenstand formte.
Es war ein Fußball. Eigentlich ein halber Fußball. Die andere Hälfte war unter Wasser, und die Eisschicht hatte ihn eingefroren und fest umschlossen. Mein Herz begann zu hämmern. Ich dachte an Wilsons neuen Weihnachts-Fußball, und ich zwang mich, an den Parkwächter oder Naturwächter zu denken oder wie auch immer er genannt wurde – der Mann, der Fahrradrahmen und Einkaufswagen mit einem Abschleppseil aus dem Weiher zieht, der Mann, der Grundschüler auf den Hermelin- und Schlüsselblumenpfaden herumführt. Er wird den Ball hineingeworfen haben, damit er ihn später herausziehen kann und ein Luftloch für die Fische hat. Es würde Sinn machen, dafür einen Fußball zu benutzen statt einen Tennis- oder Tischtennisball, weil dieser Weiher viel größer ist als so ein Teich in einem Privatgarten – es ist eigentlich ein See – und daher wohl mehr Fische hat, und die Fische würden mehr Luft brauchen, und darum musste es ein größeres Loch sein.
Alles Tatsachen.
Und ich hörte meine eigene Stimme, die Wilson vom Eislaufen auf dem See erzählte. Die ihm davon vorschwärmte und sagte, was sein Vater nicht wisse, mache ihn nicht heiß. Ich konnte mir das Bild ganz leicht vorstellen – Wilson, der durch den Wald stolperte, während Carl durch die Bäume hinter ihm herrief. Wie er krachend durch das Gehölz trampelte, Zweige zurückschnellten und ihn regelrecht auspeitschten. Bestimmt hatte er Angst – und wollte schnell weg. Und als er aus dem Wald herauskam und den Weiher vor sich sah, dessen Oberfläche flach war wie Asphalt, hätte es für ihn Sinn gemacht, quer darüberzuflitzen, statt Zeit zu verschwenden und dem Uferweg zu folgen. Die kürzeste Entfernung zwischen zwei parallelen Punkten.
Carl hatte ihn schließlich nur verfolgt. Aber ich war diejenige, die ihm gesagt hatte, dass es sicher sei, das Eis zu betreten. Mein Fehler.
Ich wandte mich vom See ab und sprintete los in die entgegengesetzte Richtung. Ich schlitterte über den vereisten Weg und schlingerte zurück in den Wald, wo ich durch die Dunkelheit rannte, während Zweige mir ins Gesicht schlugen und glitzernde Blätter unter den Sohlen meiner Turnschuhe wegglitten.
Als ich die Hauptstraße erreichte, brannte die kalte Luft in meiner Lunge. Ich nahm mein Handy aus der Jacke und versuchte, Chloe zu erreichen. Sofort die Mailbox. Wahrscheinlich durfte sie es im Krankenhaus nicht benutzen, oder sie hatte es ausgeschaltet und unter ihre Matratze gesteckt, damit ihre Eltern es nicht entdeckten. Ich schätzte die Uhrzeit, studierte kurz den Busfahrplan, gab schließlich auf und rief Carl an.
Er ging direkt dran. Ich konnte laute Musik und jemanden lachen hören.
»Carl«, sagte ich, immer noch keuchend. Wahrscheinlich klang ich für ihn wie einer von diesen obszönen Anrufern.
»Was gibt’s?«, sagte er mit seiner seltsamen, gelangweilten Stimme. »Warum rufst du mich an, kleines Mädchen?«
Ich fand das demütigend und war sauer. Dieses ganze Abenteuer hatte nur den Zweck gehabt, ihn in Schwierigkeiten zu bringen und Chloe zu zeigen, dass sie ohne ihn viel besser dran war. Stattdessen hatte ich herausgefunden, dass ich wahrscheinlich selbst verantwortlich war für ein schreckliches Unglück. Und Carl war der Einzige, auf den ich mich verlassen konnte, damit er mich abholte und mir sagte, was ich tun sollte.
»Wo bist du? Du musst kommen und mich abholen.«
»Ich kann dich nicht verstehen. Was ist los?«
Seine Kumpels waren bei ihm. Ich konnte auch das Aufheulen des Motors hören und stellte mir vor, dass er mit der Handbremse Wendemanöver auf einem Supermarktparkplatz machte und die Hand vom Lenkrad nahm, um einen schnatternden Schnabel in der Luft zu simulieren. Ich schluckte und
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