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Ich kenne dich

Ich kenne dich

Titel: Ich kenne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenn Ashworth
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nicht allzu schwer sein, schließlich waren wir dort gewesen, oder? Das war die Wahrheit. Und Carl hatte ihn in den Wald verfolgt. Alles, was ich finden musste (vor meinem geistigen Auge liefen verschwommen ein paar Szenen aus Columbo ab, während ich auf die Haltestelle zuging), war eine weggeworfene Zigarettenschachtel. Ein Reifenabdruck. Etwas, irgendwas, um zu beweisen, dass er dort war, auch wenn Chloe dumm genug war, ihn zu decken und das Gegenteil zu behaupten.
    Als der 125er von der Haltestelle abfuhr, war er leer. Ich setzte mich ganz nach hinten, zündete mir eine Zigarette an und versuchte, Ringe gegen mein Spiegelbild in der Scheibe auszustoßen. Ich dachte an Wilson. Es wäre nicht schön, wenn er immer noch im Wald wäre, wenn er auf der Flucht vor Carl gestürzt wäre und sich verletzt hätte. Mir wurde übel bei der Vorstellung, dass Wilson im nassen Unterholz zwischen kahlen Sträuchern lag, vom Nachmittag des zweiten Weihnachtstags bis jetzt, sogar über Silvester: die Nacht, in der überall Partys gefeiert und Raketen in den Himmel geschossen werden und getrunken wird und Konfettikanonen explodieren und niemand alleine sein sollte. Ich stellte mir die Lebewesen vor, die unter dem Laub hervorkrabbelten und über seine aufgeschrammte Hand, die auf seinem neuen Ball ruhte, und die faltigen, liebevollen Hände, die in dieser ganzen Zeit zu Hause auf ihn warteten. Ich glaube, ich hätte Spaß an der Suche gehabt, auf eine morbide Art, aber das hörte sofort auf, als ich begann, mir seine Mutter vorzustellen.
    Die meisten Menschen, die weglaufen und als vermisst gemeldet werden, sind junge Mädchen. Sie waren wie ich. Nein, sie waren wie Chloe – sie hatten einen älteren Freund und gingen abends zu viel aus. Und dann packt sie jemand und verschleppt sie in einem Transporter. Oder es sind junge Mädchen, deren Eltern zu beschäftigt mit Saufen und Fixen sind, um zu merken, dass die Tochter gar nicht in der Schule ist, sondern im Zug nach London sitzt. Die es erst merken, wenn ihr Mädchen verschluckt worden ist von dem grauen Asphalt und den Hochhäusern und den Nachtclubs der Hauptstadt, hunderte von Meilen entfernt. Ich könnte das auch tun, dachte ich. Die Vorstellung, oder vielleicht die Zigarette, benebelte mich. Solche Dinge passierten halt. Es wird kaum noch darüber berichtet in den Medien. Was nicht passiert, dachte ich entschlossen, während ich den Rauch in die Fensterecke blies, ist, dass erwachsene Männer sich einfach so in Luft auflösen. Selbst dann nicht, wenn sie ein bisschen seltsam sind, wie ein Mongo, wie Wilson, und mit ihrem Fußball rausgehen und nie mehr zurückkehren. Besonders nicht in dieser Jahreszeit.
    Für den Fall, dass noch jemand dort war, rannte ich mit hochgeklappter Kapuze über den Parkplatz. Ich blieb diesmal nicht stehen, um den Hermelin und die Schlüsselblume auf der Schautafel zu betrachten. Mir schien es im Wald sicherer zu sein als auf dem Parkplatz.
    Als wir am zweiten Weihnachtstag hierhergefahren waren, erzählte Carl Chloe, dass die Leute abends den Parkplatz ansteuerten, um Sex zu haben. Und manchmal, meinte er, lassen sie die Innenbeleuchtung an und eines der hinteren Seitenfenster offen, damit andere sich um den Wagen stellen können und sie beobachten und sogar die Hand durch das offene Fenster strecken, wenn ihnen danach ist.
    »Das nennt man Dogging«, sagte er und blickte über seine Schulter zu mir – er wollte sehen, ob ich es gehört hatte und rot wurde.
    Chloe lachte. »Das ist echt schräg!«
    Ich hätte Chloe fast gesagt, dass er das nur erfunden hatte und versuchte, ihr Ideen in den Kopf zu setzen. Er legte es offensichtlich darauf an, sie gefügig zu machen, weil er etwas mit ihr vorhatte, aber wie immer saßen sie vorne, und es wäre sinnlos gewesen, mit ihren Hinterköpfen zu reden. Bevor ich etwas sagen konnte, drehte Carl die Musik laut und ließ den Motor aufheulen.
    Heute Abend stand ein Wagen auf dem Parkplatz, aber der Innenraum war dunkel, und ich konnte nicht sehen, ob jemand drinsaß. Ich lief daran vorbei, sprang über eine Bodenwelle und war im Wald. Das Mondlicht, das durch die Bäume drang, war bläulich und schwach. Ich konnte meine Beine nicht sehen, weil ich Jeans anhatte, aber meine weißen Turnschuhe blitzten bei jedem Schritt vor mir auf. Als ich stehen blieb, war es völlig still, bis meine Ohren sich an die Umgebung gewöhnt hatten, dann konnte ich irgendwo in der Ferne Fahrzeuge hören. Und als ich mich bewegte,

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