Ich kenne dich
schüttelte missbilligend den Kopf, wenn wir immer falsch antworteten. Ich kniete mich vor den Videorekorder und drückte auf »Eject«. Die Kassette glitt in meine Hände, und die Nachrichten erschienen auf der Mattscheibe.
»Dad?« Meine Stimme klang dünn und zitterig.
Donald machte »Pst« und sagte anerkennend: »Er hat den Weg rekonstruiert. Zumindest hat er das angekündigt.«
»Nicht die Polizei?«
Donald schüttelte den Kopf. »Zu lahm«, erwiderte er. »Terry wollte die Sache selbst in die Hand nehmen. Die Sache aufklären. Pass auf.«
Terry leitete die aktuellste Neuigkeit ein, die, wie Donald erwartet hatte, eine Rekonstruktion von Wilsons letzten Wegen war. Die Plakate hatten Wirkung gezeigt, und die Polizei hatte zwei Mädchen ausfindig gemacht, die am zweiten Weihnachtstag mit Wilson gesprochen und sich in der Zwischenzeit mit einem Kamerateam getroffen hatten, um einen Film zu drehen.
Melanie und Dawn waren im selben Alter wie ich und Chloe, besuchten aber eine andere Schule. Sie waren morgens im Park gewesen und dort Wilson begegnet. Vielleicht hatte Terry einen Ausgleich für seinen Frust darüber gefunden, dass er keins der Opfer des Triebtäters in seine Sendung bekam. Melanie und Dawn waren zwar keine Opfer, aber sie waren Mädchen und ziemlich kameratauglich, sodass sie vorerst herhalten mussten, bis Terry einen richtigen Coup landen konnte. Er hatte sie ins Studio eingeladen, wo sie sich in den Hauptrollen eines kurzen Films bewundern konnten. Sie trugen ihre Schuluniformen: kirschfarbene Pullover, dunkelblaue Röcke und ernste, geschminkte Gesichter. Terry lobte sie überschwänglich, Fiona blickte finster drein, und die beiden Mädchen wanden sich unter der Aufmerksamkeit, die sie von allen Seiten bekamen.
Es hätte eine Erleichterung sein müssen. Laut Terry und von da an laut jedermann waren diese zwei Mädchen die Letzten, die Wilson gesehen hatten, und nicht wir. Sie waren angetrunken gewesen von einer Flasche Advocaat, die sie heimlich rausgeschmuggelt und sich auf einer der Holzbänke in der Nähe des Springbrunnens geteilt hatten.
Aber ich verspürte keine Erleichterung, denn es war nicht die Wahrheit. Die Mädchen hatten Wilson am späten Vormittag gesehen, als sie im Avenham Park waren. Wir waren ihm erst nachmittags begegnet, außerhalb der Stadt auf dem Parkplatz des Cuerden-Valley-Naturreservats.
»Ich habe die Plakate von ihm gesehen«, sagte Donald. »Sie hängen im Einkaufscenter.«
»Ja«, sagte ich. »Sie hängen überall. Die Stadt lässt sie abends entfernen, und seine Eltern hängen sie morgens wieder auf.«
»Das ist bestimmt ein Vollzeitjob.«
»Sie möchten, dass er nach Hause kommt.«
Ich kannte den Mann, der engagiert worden war, um Wilson zu spielen. Es war der Besitzer der Videothek in der Nähe unserer Schule. Er hatte die gleichen dünnen braunen Haare, die sich an den Schläfen in zarten Büscheln lichteten, und er war genauso groß wie Wilson. Ich verfolgte, wie der Mann durch den Park watschelte und ziellos den Springbrunnen umrundete, während er Zweige und vertrocknete Kastanienhüllen auf die gefrorene Eisdecke warf.
Es funktionierte nicht. Es hätte funktionieren sollen. Die Details stimmten. Die North-Face-Jacke war demonstrativ identisch mit der, die Wilson anhatte: Das Kameraauge zoomte auf den Ärmelbund und die linke Brust, während Terry den Hintergrundkommentar lieferte, der unsere Aufmerksamkeit auf das unverwechselbare, gestickte weiße Markenlogo lenkte. Der Kerl aus der Videothek tat sein Bestes, um Wilson zu verkörpern, indem er die Augenlider und den Kiefer hängen ließ und so tat, als würde er über einen Abfalleimer staunen. Er versuchte zu hinken, als wäre dies ein Kürzel oder ein Code für Wilsons Behinderung. Er machte alles falsch. Er war nicht Wilson, und er war kein professioneller Schauspieler, sondern er war immer noch er selbst.
Er war ein triebhafter, lüsterner, widerlicher kleiner Mann. Er war schmierig, und sein Laden roch nach Desinfektionsmittel und Curry, und wenn wir von der Schule nach Hause gingen, sahen wir ihn immer durch das Schaufenster, wo er hinter der Theke auf einem eingerissenen und mit Klebeband geflickten und wieder aufgerissenen Barhocker saß, während die Füllung des Hockers hinter ihm herausquoll und herunterbaumelte wie Kötel. Er hockte da und trank hunderte von Limodosen leer und verbrachte den ganzen Tag damit, die Zusammenfassungen hinten auf den Hüllen der Pornovideos zu lesen und
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