Ich komme von Charlie!
im
Aufzug zu Charlie Renitz ’ Dachgartenapartment
hinauffuhren, warf ich einen Blick auf meine Uhr und stellte fest, daß es elf
Uhr vorbei war. Schon bei dem Gedanken, wieder meinen Nachtschlaf einzubüßen,
hätte ich mich deprimiert gefühlt. Aber bei dem Gedanken an Kate, die allein in
ihrem Zimmer saß und auf meine Rückkehr wartete, hätte ich mich durch alle
tragenden Rollen einer griechischen Tragödie hindurchweinen können.
Ella — die Blonde mit dem Sinn
für Humor — öffnete die Tür. Sie gab vor, Luther nicht zu sehen, ließ mir
jedoch ein freundliches Willkommenslächeln zukommen.
»Hallo!« Sie kicherte
erwartungsvoll. »Hat’s heute wieder irgendeine komische Geschichte gegeben ?«
»Selbst wenn es so ist, haben
sie alle dieselbe Pointe«, sagte Luther schnell.
»Ja?« Ella kaute zweifelnd auf
ihrer Unterlippe. »Welche denn?«
»Verduften Sie !« knurrte er.
Ihre Augen setzten sich tapfer
zur Wehr, während sie ihn mit einer prachtvollen Flut einschlägiger sichtbarer
Flüche bedachte, aber der Rest gab klein bei — und verduftete.
Charlie Renitz wartete im Wohnzimmer auf uns. Er winkte auf meine Dankesbezeugungen hin
ungeduldig ab, während er dem lakonischen Bericht des Mannes lauschte, der für
das Ableben des menschlichen Skeletts gesorgt hatte.
»Baker hat das Zeug, das er bei
sich getragen hat«, sagte Luther, als er geendet hatte. »Wollen wir nicht mal
nachsehen ?«
Ich ließ das Bündel auf den
Tisch fallen und wickelte es behutsam auf. Diese armselige Habe stellte einen
lausigen Grabspruch für einen Mann dar, überlegte ich, aber schließlich mußte
ich zugeben, daß das Skelett keinen großen Verlust für die Menschheit
bedeutete.
Während ich mit derlei
philosophischen Überlegungen beschäftigt war, die einer Abiturientin, welche
nach dem Basketballspiel am letzten Mittwoch ein Erlebnis gehabt hatte, Ehre
gemacht hätten, waren Renitz und Luther mit
halsbrecherischer Geschwindigkeit damit beschäftigt, die Sammlung zu
untersuchen.
»Stehen Sie nicht so dumm
herum«, kläffte mich Charlie plötzlich an. »Es hat mich heute ein kleines
Vermögen gekostet, Sie am Leben zu erhalten, Baker, wie wär’s also, wenn Sie
als Gegenleistung etwas tun würden ?«
»Ihre Manieren waren heute morgen so makellos, Mr. Renitz «,
sagte ich kalt. »Woher der plötzliche Wandel?«
» Heute
morgen hatten Sie mich noch keinen Cent gekostet«, knurrte er. » Heute abend frage ich mich, sobald ich Sie ansehe, ob die
Sache das ganze Geld wert war .«
»Erzählen Sie Mr. Renitz von Sandra, Baker«, sagte Luther gelassen, während
er fachmännisch in der Brieftasche des Skeletts herumfingerte. »Vielleicht
fühlt er sich wegen des Geldes besser, wenn er es gehört hat .«
»Luther!« Renitz starrte ihn vorwurfsvoll an. »Wir brauchen Baker nicht mehr zu beeindrucken .«
»Wie Sie meinen, Charlie«, sagte
Luther, und seine Finger kämmten die Brieftasche restlos durch.
Ich berichtete in sorgfältigen
Details von meinem Besuch bei Sandra, bis zu der erlauschten Unterhaltung
zwischen den beiden Wachmännern am Tor. Dann sah ich mit Verblüffung, daß ich
die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden hatte, und so gab ich noch das
Nachspiel mit Eddie Sackville als Dreingabe zum besten .
»Wo waren Sie, als der Kerl mit
seinem >Charlie-schickt-mich< Sie abholte ?« fragte Renitz , nachdem ich geendet hatte.
»In Kate Dunnes Zimmer«, sagte
ich.
»Hoffentlich hat er nicht
gerade einen allzu peinlichen Augenblick benutzt, um durch das Fenster zu
klettern ?« Luther grinste schwach.
»Ich wollte beinahe, es wäre so
gewesen«, sagte ich mürrisch. »Aber zu dem Zeitpunkt war ich allein .«
»Es muß doch wohl eine
Bezeichnung für so was geben, Luther ?« Renitz betrachtete mich mit erneutem Interesse.
»Wofür?« Luthers Aufmerksamkeit
war wieder auf die Brieftasche gerichtet.
»Für einen Burschen, der nur
das Zimmer eines Mädchens aufsucht, wenn sie nicht da ist«, sagte Renitz ernsthaft.
»Es gibt schon eine Bezeichnung
dafür«, Luther brummte plötzlich, während er den Brieftaschenrücken aufriß , »-Pechvogel .«
»Kate war zuvor dagewesen«,
sagte ich sehnsuchtsvoll. »Aber ihr Vetter aus Riverdale mußte sie ausgerechnet unten aus der Halle anrufen .«
»Vetter ?« brummte Charlie.
»Offensichtlich, um sie
anzupumpen.« Ich erzählte ihm die Details.
»Und der Polyp, der vor ihrem
Zimmer Wache hielt, ging mit ihr zusammen hinunter in die Halle ?«
»Klar«, sagte ich. »Das
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