Ich krieg dich!: Menschen für sich gewinnen - Ein Ex-Agent verrät die besten Strategien (German Edition)
du das alles schon weißt – warum fragst du mich dann?«
Ich grinste. »Du bist der Cleverste von allen. Du bist der Einzige, der es geschafft hat, eine halbwegs griffige und glaubhafte Legende um sich herum aufzubauen. Du bist der Beste. Genau so jemanden brauche ich. Weil wir lange mit dir zusammenarbeiten wollen.« Tichow saß aufrecht und gespannt auf dem Holzstuhl mit dem rot-weißen Bezug. Seine Wangenmuskeln zuckten. Ich konnte mir gut vorstellen, welches Durcheinander widerstrebender Interessen in seinem Kopf herumschwirrte.
»Unklare, mehrdeutige, überraschende und damit schwierige Situationen richtig deuten ist das eine, hinzukommen muss die Fähigkeit, das Gedeutete in richtiges Handeln umzusetzen.… Menschen scheinen sich demnach unter anderem darin zu unterscheiden, dass die einen den Willen aufbringen, ihre Absichten auch gegen innere und äußere Widerstände durchzusetzen, während andere von Schwierigkeiten stärker in Beschlag genommen werden und so von ursprünglichen Handlungsplänen schneller abkommen. Gerade unter Stressbelastung sollten handlungsorientierte Personen weniger leicht irritierbar und konsequenter in der Verfolgung und Umsetzung ihrer Handlungsabsichten sein.«
Quelle: Nachrichtendienstpsychologie, Band 3
Für dieses Treffen war genug passiert. Die Ermittlungen und Ausforschungen voranzutreiben, war zu diesem Zeitpunkt nicht das
Ziel. Es ging darum, Tichow dazu zu bringen, mit mir eine Beziehung einzugehen. Zunächst auf professioneller, später auch auf einer sehr persönlichen Ebene. Dazu war es notwendig, ihn möglichst oft zu treffen. In kurzen zeitlichen Abständen. Jedes Treffen musste einen Sinn haben, ein Thema, ein Motiv. Jeder Kontakt zu ihm war ein Ansatzpunkt, ihm klare und eindeutige Botschaften zu senden, ihm durch seine eigenen Erlebnisse mit mir Vertrauen zu vermitteln. Vertrauen in die Absichten des Nachrichtendienstes und vor allem Vertrauen in mich. Mit jedem Treffen erhöhten sich meine Erfolgschancen. Erst würde ich von ihm nur kleine Schritte in meine Richtung erwarten können, mit zunehmendem Vertrauen dann auch größere. Und irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, an dem er mir blind vertraute. Ab diesem Moment würde er bereit sein, auch riskante Aufträge zu übernehmen; Aufträge ohne offenbartes Ziel, ohne jedes Hintergrundwissen. Ohne nachzufragen. Bis dahin lag noch ein weiter Weg vor uns. Ich musste Tichow beweisen, dass ich mir meiner Verantwortung ihm gegenüber bewusst war und ihr auch gerecht werden würde, und dass der Nachrichtendienst selbst in heiklen Situationen professionell, still und leise handeln kann.
»Bitte sehr, der Herr.« Die Kellnerin stellte eine frische Tasse Kaffee vor Tichow. »Vielleicht noch ein Stück Kuchen?«
Er reagierte nicht. Sein Blick klebte an einem Landschaftsbild. Jäger mit Gewehr im Anschlag vor einem Hirsch, dahinter die Alpen.
»Nein, danke«, lehnte ich ab und bat stattdessen um die Rechnung.
Ihre elfte Mission
Beschleunigung: Entwicklung einer vertrauten Routine
Der Agent nutzt alle psychologischen Tricks, um möglichst schnell und möglichst tief auf die Beziehungsebene zu gelangen. Mit einer hohen Erlebnisdichte beschleunigt er die Entwicklung und verkürzt damit die Zeit. Durch absolute Verbindlichkeit bietet er seinem Gegenüber eine berechenbare Konstante.
Zeit ist relativ. Das ist bekannt. Es gibt Stunden, die kommen uns so lang wie ein Tag vor und andere, die verfliegen scheinbar in einer Minute. Diese Verlangsamung oder Beschleunigung kann sehr wohl inszeniert werden — und wir tun das auch selbst. Vielleicht kennen Sie das: Es ist Freitagabend, nach einer arbeitsintensiven Woche haben Sie eigentlich keine Lust, noch irgendetwas zu unternehmen. Aber Sie tun es doch. Sie nehmen eine kalte Dusche und verlassen das Haus, denn Sie wissen: Wenn Sie am Freitag schon unterwegs waren, erscheint Ihnen das Wochenende insgesamt länger. Aus diesem Grund scheinen die Abende, die man auf dem Sofa vor dem Fernseher verbringt, auch wie im Flug zu vergehen. Selbst wenn Sie Zeuge einiger fiktiver Morde werden, ist die tatsächliche Erlebnisdichte doch gering. Ortswechsel führen zu einer besonders hohen Erlebnisdichte. Das können Sie nicht nur für sich selbst nutzen, sondern auch für Menschen, die Sie für sich gewinnen möchten. Treffen Sie sich an möglichst verschiedenen Plätzen mit ihnen. Je mehr Orte Sie zusammen besuchen, desto höher gestalten Sie Ihre gemeinsame Erlebnisdichte. Sie
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