Ich leg dir die Welt zu Fuessen
verworfen hatte.
Wann hatte sie eigentlich angefangen, eine graue Maus zu sein? Wann hatte sie sich in die Rolle der ernsten, zielstrebigen Tochter geflüchtet, die ihre Zeit nicht wie ihre Schwestern mit sinnlosen Vergnügungen vergeudete?
Vivian, die über Weihnachten in Afrika blieb und alle beschworen hatte, ihr nichts zu schenken, sondern das Geld dem Waisenhaus zu spenden, in dem sie arbeitete, galt als Heldin der Familie. Lizzy aber hatte sich das Image der schlauen, vernunftbetonten, widerspenstigen Tochter zugelegt und sich diesem Bild auch äußerlich angepasst.
Als Lehrerin brauchte sie sich nicht chic anzuziehen, und so bestand ihre Garderobe im Wesentlichen aus Jeans, Leggings und langen, schlabbrigen Oberteilen in Tarnfarben. Ein Outfit, das die Pausenaufsichten auf dem Schulhof ebenso unbeschadet überstand wie kreative Kunstkurse mit Achtjährigen.
Doch die Bewunderung, die sie in Louis’ Augen hatte aufflackern sehen, als sie im Restaurant an seinen Tisch trat, hatte etwas in ihr ausgelöst.
Als der große Tag gekommen war und alle im Haus sich eifrig für den Ball herauszuputzen begannen, holte auch sie ihre Neuerwerbung aus dem Kleiderschrank hervor. Es war ein raffiniert geschnittenes, eng anliegendes Paillettenkleid, das bei jeder Bewegung in allen Schattierungen von Türkis bis Aquamarin schimmerte. Geradezu revolutionär für eine Frau, die für Auftritte dieser Art bisher nur ein verächtliches Schulterzucken übriggehabt hatte.
Als sie als Letzte die Treppe herunterkam, sah sie sich fünf fassungslosen Gesichtern gegenüber. Offenen Mundes starrte der Rest der Familie zu ihr auf.
Passend zu ihrem schillernden Abendkleid trug sie blau glitzernde Peeptoes mit sehr hohen Absätzen und, anstelle ihres alten schwarzen Wintermantels, ein Cape aus tiefblauem Samt um die Schultern.
Die Sprachlosigkeit währte nur wenige Sekunden. Dann flatterten ihre beiden jüngeren Schwestern bereits aufgeregt um sie herum, auf der Suche nach dem Designerlabel ihres Kleides. Rose reckte beifällig einen Daumen in die Höhe, während Grace Sharp zufrieden bemerkte, dass ihr Rat, sich nett anzuziehen, nun endlich auch bei Lizzy angekommen sei. Keine ihrer Töchter könne schließlich bis an ihr Lebensende in Jeans und Lederjacke herumlaufen.
Lizzys Gedanken aber drehten sich, so verrückt es war, einzig und allein um die Frage, was Louis zu ihrem Aufzug sagen würde. Bis sie sich energisch in Erinnerung rief, dass es völlig egal war, was er von ihr hielt. Er gehörte Jessica, oder zumindest einer Frau dieses Schlags, die seine Kriterien einer perfekten Ehefrau erfüllte. Zwischen ihr und Louis lagen Welten.
Was nichts daran änderte, dass sie rasend nervös war, als der alte Kombi eine halbe Stunde später in die weihnachtlich geschmückte Auffahrt von Crossfeld House einbog.
Das Haus selbst erstrahlte in hellem Lichterglanz. Offenbar waren einige Räume des Seitenflügels geöffnet worden, um alle Übernachtungsgäste unterzubringen. Wenn schon nicht Nicholas, so besaß doch Louis Macht und Einfluss genug, um selbst im tiefsten schottischen Winter diesen riesigen Haushalt mit einem Fingerschnippen auf Trab zu bringen.
Wobei sich das Wetter momentan erstaunlich freundlich gestaltete. Bitterkalt zwar, aber mit strahlend blauem Himmel anstelle der dichten grauen Wolken, die Eisregen und Schnee verhießen und eine ständige Bedrohung für Feste aller Art darstellten.
In der Halle drängten sich bereits zahlreiche Gäste, unter denen Lizzy nur wenige bekannte Gesichter entdeckte. Kellner bahnten sich ihren Weg durch die Menge, Tabletts mit Sektgläsern über ihren Köpfen balancierend. Aus einem der angrenzenden Räume drang gedämpfte Jazzmusik. Die geschmackvolle Weihnachtsdekoration, eindeutig das Werk eines Profis, zeugte von einem schier unbegrenzten Budget.
Kaum angekommen, begab sich Rose auf die Suche nach Nicholas. Maisie und Leigh schwärmten aus, um Ausschau nach Prominenten zu halten.
„Und du, mein Schatz?“, meinte ihr Vater, als er einen seiner Golfpartner entdeckte. „Mischst du dich auch unters Volk?“
Lizzy schluckte. Man hatte ihr am Eingang das Cape abgenommen, und sie kam sich plötzlich nackt und unbeholfen vor.
„Ich wette, hier wimmelt es von interessanten Junggesellen“, raunte ihre Mutter ihr zu, was Lizzy bewog, schleunigst das Weite zu suchen. Im Vorbeigehen schnappte sie sich ein Glas Champagner von einem der Tabletts.
Das Haus erschien riesig, die Räume im
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