Ich lege Rosen auf mein Grab
auf die Schulter. «Klar, Alter! Wir machen soviel Geschrei, daß Lemmermann die Lust vergeht, also zumindest die, Boss bei euch zu werden.»
Billerbeck bedankte sich und lief zum Tennisplatz hinunter; ein bißchen Ausgleich mußte sein.
Mugalle ging die Brammermoorer Heerstraße hinauf und bog nach einigen hundert Metern links zum Wallgraben ab, um dort entlang, wo es spürbar kühler war, zum Marktplatz zu gelangen.
Direkt dem Polizeihaus gegenüber lag die Redaktion des Brammer Tageblattes, Buths bei jung und alt beliebter Zeitung, von TV und Funk nicht totzukriegen, denn schon immer hatte Günther Buth auf Goethe und den Faust gehört: «In bunten Bildern wenig Klarheit, / Viel Irrtum und ein wenig Wahrheit, / So wird der beste Trank gebraut, / Der alle Welt erquickt und auferbaut.»
So hatte auf den Innenseiten durchaus auch ein Knast-Artikel seinen Platz, konnte über die bemühte Vergeblichkeit des modernen Strafvollzugs laut und kritisch nachgedacht werden; das Fünkchen Wahrheit hielt die liberalen Leser bei der Stange, ohne indes am bösen Ist-Zustand auch nur das allergeringste zu ändern, erfreute umgekehrt nur die, die um so mehr frohlockten, je lauter dieser Abschaum klagte.
Mugalle interessierte das wenig, als er jetzt ein kleines Reisebüro betrat, dessen einzige Mitarbeiterin so jung und kuhäugig-unbedarft ausschaute, daß von ihr dumme Frage kaum zu erwarten waren. Sie hatte aber noch an ihrem Terminal zu tun, und er mußte sich in Geduld fassen. Sein Blick ging auf den Marktplatz hinaus, auf Harm-Clüver-Brunnen, Unglücksstein und Restaurant Zum Wespennest. An einem Infostand der «Grünen» diskutierten sie über den Dreck, den Buths Möbelfabriken ganz legal in die Bramme ablassen durften, und in einem der Wortführer erkannte er Rudolf C. Truper, Brammes großen Dichter und Denker, auch einmal zu einer kleinen Lesung in der JVA Bad Brammermoor gewesen. Vor der Disneyland-schönen Renaissance-Fassade des Rathauses demonstrierten die Brammer Lesben, und Gunhild Corzelius hielt gerade eine flammende Rede: «Daß mit der sogenannten ‹Hetero-Liebe› viel Unglück und Unheil vor allem für Frauen und Kinder in der Welt entsteht, darf nicht übersehen werden! Der Mann hat sich die sexuelle Macht angeeignet und versucht nun, sie in allen Bereichen des Lebens zur Unterdrückung der Frauen einzusetzen…»
Rudolf C. Truper kam nun – nach einem heftigen Wortwechsel mit einem Skinhead-Typen hatte er offenbar die Schnauze voll vom Agitieren – über den Marktplatz gelaufen, nahm direkten Kurs auf das kleine Reisebüro. Mugalle drehte sein Gesicht zur Seite, war doch anzunehmen, daß sich Truper und Jossa schon begegnet waren. Mit allzu viel Freunden und Bekannten war ganz sicher nicht zu rechnen, hatte Jossa doch im ziemlich steifen Bramme viel zu wenig Zeit gehabt, welche zu finden. Aber Truper war gefährlich, denn Dichter seines Schlages hatten immer irgendwo ein Häuschen in Italien, auf den Balearen oder Gran Canaria, dachten öfter an Spartarife und günstige Flüge als an neue Verse. Kam er also hierher, um sich…?
… nein, er ging weiter, Richtung Knochenhauergasse: bestimmt, um sich im m.a.v. sein tägliches Rotwein-Quantum einzuflößen.
«Sie wünschen?» fragte die Maid vom Reisebüro.
Mugalle, nach so langer Zeit im Knast, wünschte sich bei ihrem Anblick selbstverständlich nur das eine, wagte aber nicht, dies auch nur zu denken, denn draußen dröhnte gerade Gunhilds Lautsprecherstimme: «Wir Frauen haben es satt, immer nur das Lustobjekt unserer Männer zu sein!»
«Was ich mir wünsche…?» Mugalle riß sich zusammen. «Eine Woche Ostsee bitte. Und zwar Weißenhäuser Strand, Bungalow 214…»
Erstaunter Blick. «Wieso gerade 214…?»
«Weil… Sie verstehen…? Eine wunderschöne Erinnerung…» Er machte nun doch mit Zunge und Lippen das, was bei Goethe (Faust I, Hexenküche) als «eine unanständige Geberde» angedeutet wird. Sollte er der Kleinen aber auf die Nase binden, daß er dort in einem Hohlraum zwischen Bad und Besenkammer sein ganzes hinterzogenes Geld eingemauert hatte…?
«Siehe, selig ist der Mensch, den Gott straft; darum weigere dich der Züchtigung des Allmächtigen nicht» Hiob 5/17. «Denn er verletzt und verbindet; er zerschlägt, und seine Hand heilt…»
Die Bibel war das einzige in der Arrestzelle zugelassene Buch.
Jossa lag auf blankpolierten Kiefernbohlen, vergleichbar einem Küchentisch, Ikea oder dergleichen, wenn auch nicht in dessen
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