Ich lieb dich, ich lieb dich nicht (German Edition)
meiner plötzlichen Erkenntnis, dass das Single-Sein eigentlich absolut erstrebenswert ist.
»Stimmt schon«, meint er. »Aber dann is auch nix mehr mit Kuschln. Nix mehr mit Sex haben. Nix mehr mit zusammen schöne Erlebnisse haben. Nix mehr mit vielleicht mal Kinder haben. Nix mehr mit im Alter nich allein sein. Nix mehr mit nix. Alls aus.«
»Hm«, gebe ich zu, »das klingt wirklich nich so toll.«
Eine Weile bleiben wir einfach nur so liegen und hängen unseren Gedanken nach. Schade, dass man nicht beides haben kann. Die Vorteile des Alleinseins und die Vorteile einer Beziehung. Plötzlich steht Ingo leicht wankend auf.
»Wo willsu hin?«
»Küsche«, sagt er. »Ich koch uns Kaffee und koch uns was zu essen. Sonst kommn wir nich mehr hoch.«
»Okay, komm mit.« Und so sitze ich an Ingos Küchentisch, trinke starken Kaffee und beobachte ihn, wie er gefrorenes Hack auftaut, um Lasagne – nach berühmtem Ingo-Rezept – zu machen.
Eine Stunde später schaufeln wir jeder eine Portion hinein, die sechs Leute satt gemacht hätte.
»Hmm, legger«, nuschele ich kauend. »Ich liebe deine Lasagne!«
»Vielen Dank. Ich mach sie umso lieber, wenn sie einem richtig schmeckt.« Dann wird er wieder nachdenklich. »Für Andrea konnte ich sie nie machen.«
»Warum nicht?«
»Die isst keinen Käse. Und Lasagne ohne Käse ist schlecht.«
»Stimmt. Und warum isst sie keinen Käse?«
»Weil sie generell nichts isst, wovon sie zunehmen könnte.«
»Aha. Bisschen lustfeindlich klingt das.«
»Was das Essen betrifft, war sie das allemal. In dem halben Jahr habe ich sie eigentlich immer nur Salat mit Hähnchenbruststreifen essen sehen.« Jetzt wird mir klar, warum Andrea ihre Klamotten in der Kinderabteilung kaufen könnte. Von nix kommt nix. Und von viel kommt viel, denke ich und beäuge die nächste Gabel voll Lasagne, die ich mir gerade in den Mund schieben will. Egal, mir schmeckt’s, das ist die Hauptsache.
»Aber«, wende ich ein, »das ist ja schade für einen Hobbykoch wie dich. Macht ja keinen Spaß, wenn der andere das gar nicht zu schätzen weiß.«
»Fand ich nicht so schlimm«, meint Ingo.
»Ja, noch. Aber in zehn Jahren hättest du wahrscheinlich beim Anblick eines Salates mit Hähnchenbruststreifen eine Angstneurose bekommen und wärst schreiend davon gelaufen.«
Ingo lacht. »Ich merke schon: Du hast dir den Vortrag von Tante Ilse wirklich zu Herzen genommen.«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich denke, ganz unrecht hat sie nicht.«
»Wer weiß«, seufzt Ingo und legte seine Gabel auf seinen leer geputzten Teller. »Ich hatte sie halt gern. Trotz ihrer Essensphobie.«
»Tja. Und wie viel lieber hättest du sie möglicherweise ohne diese Phobie gehabt? Und wie viel mehr hätte sie deine Kochqualitäten schätzen können?« Jetzt bin auch ich mit dem Essen fertig. »Wie soll man es schätzen, ein tolles Auto geschenkt zu bekommen, wenn man gar keinen Führerschein hat und lieber Fahrrad fährt?«
»O je. Ich glaube, ich muss schon wieder eine Flasche Wein öffnen. Tante Ilse hat dich echt infiltriert, das kann ich nur mit Alkohol ertragen!«
»Ach, komm! Gib’s doch zu, so blödsinnig sind ihre Ansichten gar nicht.«
»Ich frage mich nur, warum sie ihre Erkenntnisse für sich selbst offenbar nicht umsetzen kann.«
»Weiß ich auch nicht. Aber es heißt ja auch nicht, dass man, nur weil man Arzt ist, selbst nie krank wird.«
»Darf ich dir als Deutschlehrer sagen, dass dieser Vergleich hinkt?«
»Ist mir egal.« Ich strecke ihm die Zunge raus. »Bin halt doof und hab nur einen Realschulabschluss, du arroganter Sack.«
»Ich hab dich auch lieb.«
»Aber weißt du was?« Ich gehe auf seine Bemerkung gar nicht weiter ein. »Ich finde, wir machen das jetzt mal.«
»Machen was?«
»Das, was Ilse mir vorgeschlagen hat. Wirste schon sehen!« Ich springe auf und laufe rüber in Ingos Arbeitszimmer. Zwei Sekunden später kehre ich mit ein paar Blättern Papier und einem Stift in die Küche zurück.
Offensichtlich sind Ingo und ich Zwillinge. Aus Versehen nach der Geburt getrennt. Denn als wir später am Abend auf dem Sofa sitzen und uns über unsere Listen, die wir unabhängig voneinander gemacht haben, beugen, entdecken wir eine schon beinahe gruselige Deckungsgleichheit. Wir haben die gleichen Interessen, die gleiche Vorstellung vom Leben, hören am liebsten dieselbe Musik, haben den gleichen Lieblingswein, mögen das Meer lieber als die Berge, lieben Sauna und hassen Freibäder und, und, und
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