Ich lieb dich, ich lieb dich nicht (German Edition)
mal was.
Diese eine Woche gebe ich mir noch. Entweder, es passiert etwas und ich finde heraus, wie es um Julias und Ingos Beziehung wirklich bestellt ist – oder ich gebe auf. In meinem Alter sollte man irgendwann mal vernünftig werden. Kurzfristig hatte ich in Erwägung gezogen, einen Detektiv zu beauftragen. Aber nachdem ich mich – nur mal so aus Interesse – bei einer Detektei erkundigt hatte, was so etwas denn kosten würde, bekam ich zur Antwort, dass das hundert Euro pro Stunde seien. Hundert Euro! Pro Stunde! Für einfach nur Rumhocken und Gucken, dafür muss man ja nicht mal studiert haben. Sollte ich irgendwann meinen Laden drangeben, mache ich das. Okay, der Job ist vielleicht streckenweise etwas langweilig, aber für den Stundensatz würde ich mich mit größtem Vergnügen langweilen.
Kurz vor halb neun, immer noch nix passiert. Im Radio läuft auch nur doofe Musik, aber dafür hat es mittlerweile angefangen zu regnen. Hab ich überhaupt einen Regenschirm mit? Für den mehr als unwahrscheinlichen Fall, dass ich mein Auto doch noch verlassen muss.
Der mehr als unwahrscheinliche Fall tritt drei Minuten später ein. Julia kommt aus dem Haus. Und natürlich habe ich keinen Regenschirm dabei. Nur eine leere Tüte Blumenerde. Ich schnappe mir den gelben Plastiksack und hechte aus der Tür, Julia ist schon fast am Ende der Straße angelangt. Während ich ihr hinterherschleiche, hoffe ich, dass sie nicht schon wieder nur Kaffee kaufen will. Aber sie hat ja erst vor zwei Tagen zwei Packungen gekauft, ein derartiger Konsum würde mir einigen Respekt abnötigen.
Sie geht den Mühlenkamp hinunter, und ich kann ihr in etwas größerem Abstand als sonst folgen, weil ihr roter Schirm wie das Erkennungszeichen eines Stadtführers vor mir herleuchtet. Auf Höhe eines Bäckers bleibt sie stehen, ich befürchte schon, sie braucht wieder nur ein neues Landbrot. Doch dann drückt sie irgendwo auf eine Klingel, und ich setze ihr im Stechschritt nach, damit ich auch weiß, zu wem in dem Haus sie geht. Zu ihrem echten Freund? Ich frohlocke schon, das könnte doch gut sein!
Ich erreiche die Eingangstür eben noch, bevor sie ins Schloss fällt. Die Fahrstuhltür schließt sich in dem Augenblick, in dem ich den Flur betrete, dann verrät mir die grün leuchtende Anzeige, wohin Julia fährt. Im dritten Stock hält der Aufzug an. Ich rufe ihn zu mir zurück und fahre ebenfalls hoch.
Oben gibt es genau zwei Türen. Die eine gehört offenbar zu einem Privathaushalt, ein selbst gebasteltes Schild aus Salzteig mit der Aufschrift »Willkommen bei Familie Sandmann« klebt über dem Klinge lschild. Die andere gehört einer Frauenärztin. Ich überlege. Wo ist Julia hingegangen? Aber dann verwerfe ich die Überlegung. Ist ja egal – viel wichtiger ist doch, wo ich hingehen kann, ohne aufzufallen. Da bleibt wohl nur die Frauenärztin. Es sei denn, ich gebe mich Familie Sandmann gegenüber als Avon-Beraterin aus. Aber das wäre wohl erst der nächste Schritt, zunächst versuche ich es in der Praxis.
Ich zähle langsam bis hundert, um Julia die Zeit zu geben, nicht mehr im Eingangsbereich zu stehen, dann drücke ich gegen die Tür, die sich klickend öffnet. Hinter dem Empfangstresen sitzt eine Sprechstundenhilfe, ansonsten ist der weiße Flur glücklicherweise leer. Keine Julia weit und breit. Sollte sie hier sein, sitzt sie wohl schon im Wartezimmer.
»Guten Morgen«, werde ich begrüßt. »Wie ist Ihr Name?«
»Gottlieb«, antworte ich wahrheitsgemäß. Vor der Tür habe ich mir überlegt, dass ich am besten nicht schwindele. Denn sollte mir Julia doch begegnen, könnte ich es ihr ganz einfach als Zufall verkaufen, dass wir beim gleichen Frauenarzt sind.
»Sie haben keinen Termin«, stellt die Sprechstundenhilfe fest.
»Ich weiß«, sage ich. »Ich war auch noch nie hier, habe aber starke Beschwerden und war gerade in der Nähe. Hätte die Frau Doktor Zeit für mich?«
Die Sprechstundenhilfe studiert ihren Kalender. Dann lächelt sie. »Mit ein bisschen Wartezeit müsste es klappen.«
Nachdem ich ihr meine Versichertenkarte und zehn Euro überreicht habe, bittet sie mich, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Das will ich nun nicht unbedingt, denn mein Instinkt sagt mir, dass direkt hinter der Tür schräg gegenüber vom Empfang Julia sitzt.
»Wo ist denn Ihre Toilette?«, frage ich deshalb.
»Direkt hier vorne, die erste Tür links.«
»Danke.« Ich gehe nach direkt hier vorne, erste Tür links und schließe mich ein. So weit
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