Ich liebe dich, aber nicht heute: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
er die Treppe hinunterging.
Ich mich auch, dachte Liane, aber dann schossen ihr unzählige Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Skypen, dachte sie, jetzt muss ich mit Marius skypen, endlich habe ich eine verwertbare Geschichte. Ob seine Party schon rum war? Sie schaute auf ihre Uhr. Halb zwölf. Konnte sein, eher aber nicht. Sie schickte eine SMS .
»Hi, Schatz, es prickelt!«
Es kam keine Antwort, also war die Party noch in vollem Gange.
Sollte sie morgen tatsächlich Jochen abholen? Die Vorstellung blieb in ihrem Kopf stecken wie ein sperriger Korken. Ihre Gedanken konnten einfach nicht mehr fließen. Sie setzte sich auf ihren Balkonstuhl und horchte in sich hinein. Unter ihr tobte unvermindert das Leben, und ihr Bauch äußerte keine Meinung. War sie nicht zu alt für solche Späßchen? Würde sie sich nicht total blöd vorkommen? Auf der anderen Seite – sie stellte sich Jochen vor. Männlich, sexy. Was spielte da Alter für eine Rolle? Er hatte recht, es war Zeit, dass sie mal wieder eintauchte in die Welt der puren Erotik. So wie in England, sich fallen lassen, einfach jede Vernunft über Bord werfen.
England. Sie griff nach dem Weinglas und nahm einen Schluck, während sie sich die Bilder in Erinnerung rief. Unfassbar. Er hatte sie an den Schrank genagelt, tatsächlich, besser ließ es sich nicht beschreiben. Und er war auch jung gewesen. Muskulös. Und gierig. Aber wie sollte einer aus England … nein, das konnte nicht sein. Sie würde Robert Stonestone noch ein paar Fragen stellen müssen. Oder besser noch ein Foto schicken. Morgen würde sie Jochen einfach mal fotografieren. Vor der Imperia, das machte Sinn, denn sie war schließlich das Wahrzeichen von Konstanz. Und die Chefin der Huren zu Zeiten des Konzils dazu, dachte Liane. Wie passend.
Trotzdem. Wie soll einer aus England zu mir auf den Balkon kommen? Allerdings ist er auch in mein Hotelzimmer gekommen, sagte sie sich selbst. Und plötzlich waren alle Empfindungen wieder da. Seine Zunge an ihrer Klitoris, ihr schneller Ritt auf ihm, das Gefühl, völlig aus sich selbst herauszutreten, und seine Ankündigung, als er ging: »Das nächste Mal fesselst du mich!«
Sie schlug die Augen auf.
»Das nächste Mal!« Es war eine Ankündigung gewesen. Er hatte ein nächstes Mal angekündigt.
Gut jetzt, dachte sie, denk an was anderes. Beispielsweise, ob du nun morgen in die Firma gehst oder nicht. Was wollte sie in der Firma, morgen war Freitag, sie hatte frei, und um 16.34 Uhr kam ein Zug aus Zürich. Den durfte sie nicht verpassen.
Welchen Mantel ziehe ich bloß an? Ihre Gedanken konzentrierten sich wieder aufs Wesentliche. Ich habe überhaupt keinen leichten Sommermantel. Oder doch?
Sie warf noch einen Blick über das Geländer, dann nahm sie Jochens Glas und die halb volle Flasche Wein und trug beides in die Küche. Ihr eigenes Glas nahm sie mit ins Schlafzimmer, stellte es auf ihrem Nachttisch ab und ging in ihr kleines Ankleidezimmer. Rechts außen hingen die Mäntel. Drei Wintermäntel, zwei Übergangsmäntel, viele Jacken. Zu viele Jacken, stellte sie dabei fest, sie musste dringend aussortieren. Sie zog zwei Mäntel heraus, einer war bordeauxrot, den konnte sie sowieso hergeben, die Farbe war passé, und der andere war ein klassisches Modell, ein heller Trenchcoat von Burberry. Na, denn, dachte sie, um 16.34 Uhr zog vielleicht schon ein Wölkchen über den blauen Himmel, das einen Trenchcoat rechtfertigte. Im Regal neben ihr stapelten sich die Schuhe. Das lag nicht daran, dass sie zu viele Schuhe hatte, das lag natürlich am Regal. Es war schlichtweg zu schmal. Sie hatte Marius schon vor Monaten gefragt, ob sie nicht mit einem winzigen Regal in sein Ankleidezimmer auf der anderen Seite des Schlafzimmers einziehen dürfe, aber er hatte nur schallend gelacht. »Gleiches Recht für alle«, war sein Kommentar gewesen. Inzwischen stapelte sie Schuhkartons und klebte ein Foto des Inhalts drauf, so ging es auch. Winterstiefel und Ausgeh-High-Heels waren auf diese Weise gut versorgt.
Sie kniete vor ihren Kartons und ging die Fotos durch. Nein, dachte sie, zu affig durfte es dann auch nicht werden. Das waren Sitzschuhe. Einmal Taxi, aussteigen und auf den Barhocker. Mit denen konnte sie unmöglich zum Bahnhof gehen. Irgendwie mussten sie schon noch zum Trenchcoat passen. Sie ging ans Regal. Ah ja, ihre Ausverkaufsbeute. Ein Riemchenschuh, offen, mit hohem Absatz, beige wie der Mantel und schön an einem braunen Fuß. Deshalb hatte sie ihn ja
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