Ich liebe dich, aber nicht heute: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
konnte. Liane nickte und ließ sich den Strand auf einer Karte zeigen. Von der Cala de Sant Viçent gäbe es eine Panoramastraße an der nordöstlichen Küste entlang, die einen schönen Blick böte. Gut, Liane war allem Schönen zugeneigt. Sie trank einen Willkommenscocktail, mit einer roten Kirsche und einem bunten Papiersonnenschirm garniert, am Swimmingpool und packte wenig später beschwingt ihre Badetasche. Riley? Jochen? Die waren beide ganz weit weg!
Der Strand klebte an der Steilküste und war deshalb stellenweise sehr schmal, was ihn aber auch interessant machte. Das Wasser war klar und der Sand fein und golden. Liane sah sich nach einem geeigneten Platz um und fand ihn neben einem Felsvorsprung. Hier konnte sie ihre Tasche unterbringen und hatte durch den hohen Fels sogar etwas Schatten. Sie breitete ihr großes Badetuch aus und genoss die frische Meeresbrise und den Geruch, den sie über alles liebte: Salz, Algen und Sonne. Sie sah sich um. Tatsächlich, einige spielten nackt irgendwelche Ballspiele, andere spazierten in Badeanzügen und Badehosen am Strand entlang. Beim genaueren Hinsehen machte sie mehr nackte Männer als Frauen aus. Ein Paar ging eben an ihnen vorbei, er nur mit einem knappen T -Shirt bekleidet, sie dagegen mit einem blickdichten Badeanzug. Liane entschied sich, ihren Bikini anzubehalten, nach zwanzig Minuten aber fand sie es albern und zog sich ganz aus. Hier kannte sie niemand, und eine gleichmäßige Bräune war ja auch nicht zu verachten. Kurz gestattete sie sich einen Gedanken an Jochen und spürte ein Lächeln auf ihren Lippen. Schön, wenn man so unbewusst lächelt, dachte sie und entschied, nachher an die Strandbar zu gehen und sich einen Eisbecher zu gönnen.
Sie nahm ihr Handy und schickte Riley eine SMS : »Habe mir ein Sonnenversteck gesucht. Kann aber nicht ewig verschollen bleiben. Gib Bescheid, sobald sich eine Lösung auftut. Was nützen die Fotos denn jetzt noch?«
Sie bekam keine Antwort, hatte aber auch nicht wirklich damit gerechnet. Dann schrieb sie eine Nachricht an ihren Chef, in der sie ihn bat, ihr zu glauben, dass diese Flucht unumgänglich war. Sie würde ihn mündlich aufklären, könne aber noch nicht genau sagen, wann sie wieder zurück sei.
Prompt kam seine Antwort: Sind Sie in Gefahr?
»Ich habe mich jedenfalls so gefühlt«, schrieb sie zurück. »Möchte es auf diesem Weg aber nicht erklären.«
Ob er damit zufrieden war?
»Überstunden abfeiern nennt man so etwas«, kam seine Antwort.
»Gut, dass ich welche habe …«, schieb sie zurück und ging davon aus, dass der Fall damit erledigt war.
Jetzt wollte sie ins Wasser. Und zwar nackt. Sie sah sich um. Das hatte sie seit ihrer frühesten Kindheit am helllichten Tag nicht mehr gewagt. Na ja, ganz frisch war sie mit ihren fünfundvierzig Jahren nicht mehr, aber sie fand sich noch immer ganz ansehnlich. Egal. Sie gab sich einen Ruck, nahm die Sonnenbrille ab und lief über den schmalen Strand ans Wasser. Der glühende Sand brannte unter ihren nackten Sohlen, und die letzten paar Meter rannte sie, um das kühlende Wasser zu erreichen. Dort blieb sie stehen und betrachtete die Ausläufer der Wellen, die um ihre Füße spülten. Es hatte etwas Erotisches. Und fühlte sich gut an. Langsam ging sie weiter hinein. Das Wasser war angenehm warm und die Wellen sanft. Gerade richtig, fand Liane und sprang der nächsten Welle mit einem Kopfsprung entgegen.
Nackt zu schwimmen war eine längst vergessene Erfahrung für sie. Als ob sich das Wasser an den sonst bedeckten Körperstellen anders anfühlte, wie Haut, die längere Zeit mit einem Pflaster bedeckt war, sensibler auf Temperaturen und Nässe reagiert. Liane genoss dieses Gefühl in vollen Zügen, sie schwamm weiter hinaus, als sie es sonst tat, und berauschte sich an dem kristallenen Wasser, der Brandung und dem Gefühl, eins mit dem Element zu sein.
Der Strand füllte sich langsam, das konnte sie schemenhaft erkennen, obwohl die Sonne hoch über der Klippe stand und sie beim Blick auf das Ufer blendete. Liane, das ist das Beste, was du seit Langem getan hast! Sie spürte das Glück bei jedem Schwimmzug durch ihre Adern pulsieren, jeder Zweifel am Leben oder an sich selbst war verflogen. Sie ertappte sich, wie sie ganze Sätze des Glücks formulierte. Sich frei schwimmen, ja, das tat sie gerade, sie schwamm sich von allem frei. Erst als ihr das Salz in den Augen zu brennen begann, entschied sie, ans Ufer zurückzukehren, um sich den Eisbecher zu
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