Ich liebe dich, aber nicht heute: Roman (Piper Taschenbuch) (German Edition)
steilen Bergpfad zu. »Und welcher Sherpa trägt mich jetzt hinauf?«
»Das tut den Beinen gut«, erklärte Liane in gönnerhaftem Ton. »Macht straffe Schenkelchen.«
»Dann kann ich mich ja getrost hinauftragen lassen …« Cindy lächelte Liane über ihre Schulter zu.
Trotz Cindys Spruch sah Liane mit leiser Freude, dass Cindy bergauf ganz schön ins Schwitzen kam. Da war sie besser trainiert und demonstrierte das auf den letzten Metern, indem sie mühelos an allen vorbeizog. Dabei kam sie sich zwar absolut kindisch vor, aber sie konnte in diesem Moment einfach nicht anders. Cindy kommentierte, nachdem sie oben wieder zu Atem gekommen war, dass da ja wohl bei Liane noch Energien frei seien.
Den ganzen Weg zurück enthielt Liane sich einer Antwort; stattdessen plauderte sie mit Oliver, bis sie im Restaurant angekommen waren. Sunset Ashram, das war schon die Krönung des Abends, vor allem weil es in exponierter Lage die besten Plätze für das Schauspiel bot, das für die nächsten zwanzig Minuten erwartet wurde: der Sonnenuntergang. Sie waren nicht die Einzigen, die an den Tischen auf der weitläufigen Terrasse Platz genommen hatten. Und wer drinnen reserviert hatte, stand jetzt mit dem Glas in der Hand draußen, ein ehrfurchtsvolles Staunen im Gesicht. Das Staunen galt dem riesigen Feuerball, der im Meer versank und ihnen ein Schauspiel bescherte, das alle in seinen Bann zog. Farbtöne in Rosa, Violett, Hellrot und Dunkelrot ließen die Grenzen zwischen Himmel und Meer verschwinden und ergossen sich in einem wilden Farbfeuerwerk über den Felsen, der dadurch ein Eigenleben entwickelte, dass Liane der Atem stockte. Unwillkürlich war sie aufgestanden, und auch Oliver, Marius und Cindy traten an die Balustrade. Um sie herum filmten und fotografierten die Gäste das Schauspiel, aber Liane war so gefesselt, dass sie gar nicht auf die Idee kam. Oliver hatte nach ihrer Hand gegriffen, und Liane hielt sie gedrückt, ohne zu merken, wessen Hand sie da drückte. Marius stand ebenfalls dicht neben ihr, den Arm um Cindy gelegt. Als das Schauspiel vorüber war, setzten sie sich wieder. Zunächst herrschte andächtige Stille, doch bald setzten die Gespräche um sie herum wieder ein, und Liane schaute auf, geradewegs in die Augen von Marius, der ihr gegenübersaß.
»Schön, so etwas gemeinsam zu erleben«, sagte er und beugte sich zu Cindy hinüber, die sich sofort an ihn schmiegte.
»Die Fruchtbarkeitsgöttin fordert ihr Recht«, säuselte sie, »wohl dem, der ihr Rufen hört.«
»Ich höre nichts«, sagte Oliver trocken.
Liane fand ihn schon deshalb großartig und lächelte ihm zu, aber sie merkte selbst, dass ihre Liebesbezeugungen im Vergleich zu Cindys Balzgehabe hölzern waren. Doch sie konnte nicht anders. Sie konnte Oliver nichts vorspielen. Oliver fuhr ihr mit dem Zeigefinger kurz über ihren Nasenrücken und griff nach den Speisekarten.
»Wollt ihr selbst«, fragte er in die Runde, »oder soll ich euch was vorschlagen? Ich spreche ganz gut Spanisch.«
»Übersetzen wäre schon hilfreich«, erklärte Marius.
Aber Cindy winkte ab. »Für mich vorweg ein Glas Champagner und ein paar Austern, danach einen Lobster für den Altar der Lüste.« Sie lächelte Marius zu. »Magst du dich nicht anschließen?«
Er legte seine Hand auf ihren nackten Oberschenkel und schüttelte den Kopf. »Ich höre gern mal, was es sonst noch gibt. Lobster und Austern haben wir doch schon so oft gehabt.«
»Wir haben ja auch oft Bedarf.« Sie zuckte die Achseln.
Liane wandte sich Oliver zu. »Tut mir leid«, sagte sie leise.
»Wieso?« Er schenkte ihr einen warmen Blick. »Sie ist doch überaus reizend.«
Soll ich einfach gehen, überlegte sich Liane, die drei ihrem Glück überlassen? Irgendwie passte sie nicht hierher, diese Art von erotischen Lockerungsübungen waren nicht ihre Welt. Sie spürte einen leichten Druck im Magen und bat Oliver, etwas für sie auszuwählen, sie müsse zur Toilette.
Im Restaurant lief ein Fernsehapparat. Das fand sie ungewöhnlich, wie konnte man sich an so einem Abend vor die Glotze setzen? Aber da sie auf ihrem Weg zur Toilette daran vorbeikam, sah sie, dass ein Fußballspiel übertragen wurde. Und den aufgeregten Gesprächen nach zu urteilen, ein wichtiges. Männer, dachte sie. Verspielt von der Geburt bis in den Tod. Nahmen sie überhaupt etwas ernst außer ihrer eigenen Wichtigkeit? Wie lautete noch mal der Spruch, den sie vor Monaten gelesen hatte und sich unbedingt hatte merken wollen? Es
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