Ich mach mich mal dünn - Neues aus der Problemzone
Schönste, weil sie in der Regel über gar keine Maßstäbe für »schöner« beim gleichen Geschlecht verfügen.
Und statt sich diesbezüglich auf dem Laufenden zu halten und Hochglanzmagazine mit den Fotos der Stars zu wälzen, freut sich Hans-Dieter, wenn er schon nicht abnimmt, darüber, dass er sein Übergewicht wenigstens in Schach hält – und vergleicht sich bestenfalls (und wirklich sehr, sehr selten) mal am Grillabend mit dem Nachbarn, hin und wieder auf dem Pissoir mit dem ebenfalls pieselnden Kollegen oder beim Klassentreffen mit den alten Kumpels aus der Schulzeit. Haben die angesichts des nagenden Zahns der Zeit ähnliche Formtiefs vorzuweisen wie er selbst, ist seine Welt harmonisch und im Gleichgewicht.
Hans-Dieters innere Ruhe kommt höchstens kurzfristig hin und wieder etwas ins Schlingern, wenn sich der Freund der Tochter morgens in Boxershorts oder spärlich bekleidet am Frühstückstisch einfindet. Oder als er den Geburtstagsgutschein fürs Fitnessstudio kurz vorm Verfallsdatum plötzlich einlösen musste, weil der Schwiegersohn in spe dauernd danach fragte. Da musste Hans-Dieter beim Hantelnstemmen Zwangsbekanntschaft mit dem einen oder anderen deutlich formschöneren Adonis machen und sich von Trainerin Cindy motivieren lassen.
Das hat ihm wirklich zugesetzt. Wer hätte es gedacht? Plötzlich blätterte er zu Hause in Katalogen mit Sportklamotten, verlangte Rührei statt Ravioli, erkundigte sich bei Tante Käthe nach dem Verbleib der alten Hanteln,
grub die verstaubten Teile aus dem Keller und verschwand mit ihnen im Schlafzimmer. Hinter verschlossener Tür,vor der Käthe sicherheitshalber lauschte.
Hätte sie nicht gewusst, dass das Zimmer keinen zweiten Eingang hat, hätte sie höchst bedenklich gefunden, was sie dort hörte: Schweres Atmen, Schnaufen, Japsen mit Übergang zum Stöhnen – und bald zog auch Schweißgeruch durchs Schlüsselloch.
Käthe beschloss, die Überwachung fortzusetzen. Die Spionage diente ja einem guten Zweck. Schließlich ist es beim Hochleistungstraining sehr wichtig, dass immer jemand da ist, der im Falle eines Herzinfarktes den Rettungssanitäter ruft.
Nach ersten erkennbaren Erfolgen verließ Hans-Dieter die geschlossene Trainingsanstalt, um hinauszulaufen in die weite Welt. Das erschwerte die Gesundheitsüberwachung für Tante Käthe. Doch ihr weiblicher Instinkt verriet ihr, dass sie auf der Hut bleiben musste. Denn kein Mann der Welt wird über Nacht zur Sportskanone und zum Gesund-Esser, wenn nicht eine Frau dahintersteckt.
So galoppierte Hans-Dieter eine Woche lang über den Trimm-dich-Pfad im kleinen Wäldchen hinter der Siedlung, das Tante Käthe zeitgleich mit dem Rad umkreiste. Beide wären zunehmend fitter geworden, wenn der Schwiegersohn in spe dem Spuk nicht ein jähes Ende bereitet hätte. Nichts ahnend von Hans-Dieters Aktivitäten berichtete er beim Sonntagsbraten (für Hans-Dieter ohne Nudelbeilage), dass das lokale Fitnessstudio schließt, dassTrainerin Cindy aufhört und dass Hans-Dieter seine zweite Schnupperstunde bei Fitness-Coach Pascal im Nachbarort absolvieren soll. Hans-Dieter gelang es nicht ganz, sein Entsetzen zu verbergen, als er von Cindys Abgang hörte. Für die hatte er drei Wochen lang gekämpft. Der wollte er zeigen, was in ihm steckt – und dann so was! Natürlich sprach niemand darüber. Es fiel nur auf, weil Hans-Dieter wieder zur Nudelschale griff und den Trainingsanzug am Haken ieß. Danach war alles wieder so, als wäre nie was gewesen.
15. »Ich kann doch nichts dafür!«
Sie gefallen sich nicht so richtig? Kein Grund zum Verzagen. Im Zweifelsfall sind nämlich andere schuld. Ein prima Trost in schweren Zeiten – allerdings nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen
»Ich esse kaum was und trotzdem quillt’s an allen Enden!« – »Würde Mutti nicht so gut kochen, wäre ich schlank.« – »Bei mir liegt das an den Genen.« – »Meine Darmflora ist hyperaktiv, die kann nicht anders.« – »Ich habe die schweren Knochen geerbt.« – »Mein Schweinehund ist so groß.« – »Ich esse doch immer nur Kleinigkeiten.«
Während die einen die Hitparade der Ausreden munter herunterbeten, denken die anderen sich ihren Teil: »Ja, ja, das sagen sie alle. In Wirklichkeit wollen sie nur nicht zugeben, dass sie sich heimlich die fettesten Brocken selbst reinhauen.« Wer merkt, dass ihm verdächtigende Blicke folgen, sollte erst einmal cool bleiben.
Denn Schuldzuweisungen haben die positive Eigenschaft, dass
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