Ich mach mich mal dünn - Neues aus der Problemzone
nicht länger fragen, was sie bloß falsch gemacht haben, wenn sie auch so einen Bengt-Benedikt zu Hause haben, sie dürfen sich trösten: Bebes Verhalten ist genetisch bedingt, die Schuld liegt also woanders.
Der Mensch musste in seiner Entwicklungsgeschichte öfter mal was Neues probieren, wenn er andere Lebensräume erobern wollte. Er tat dann gut daran, in Nahrungsfragen kein Risiko einzugehen: Es könnte ja etwas Giftiges dabei sein. Erfahrungsgemäß war er mit Süßem und Fettem auf der sicheren Seite, speicherte das ab und gab es an seine Brut weiter.
Deshalb sagt ein Bengt-Benedikt von heute immer noch »Bäh«, wenn die Beeren sauer sind und Brokkoli bitter schmeckt. Das ist einerseits gut so: Seine Erzeuger brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass er sich an einer Tollkirsche vergiftet. Andrerseits ist die Pommes-Burger-Gefahr heute verbreiteter als Tollkirschen und andere Naturgifte. Die Jugend
von heute spechtet eben nicht mehr nach den reifen süßen Früchten am Wegesrand, sondern nach vitaminfreien Süßgiganten aus der Quengelzone vor der Supermarktkasse.
Moderne Pädagogen raten deshalb zur sanften Verführung: Bevor Eltern vor der Fast-Food-Kette mit dem großen M und anderen Schlingtempeln in die Knie gehen, müssen sie zu Hause Überzeugungsarbeit leisten. So wirkt der legendäre Probierklecks besser als jeder Drill an der Spinatschüssel. Ernährungswissenschaftler haben herausgefunden, dass Kinder sich von ihren Urzeitgenen befreien können, wenn sie nur oft genug die Erfahrung machen, dass Erbsen doch nicht tödlich sind. Mama und Papa sollten dies testen, bis der Sprössling seinem Nachahmungstrieb folgt. Angeblich braucht es acht bis zehn Versuche, bis das Kleine sich an Erbsen gewöhnen kann.
Das aber heißt: Mütter und Väter dürfen sich doch nicht ganz von der Verantwortung freisprechen. Bis ihr Baby sein Auswilderungsgewicht erreicht hat, müssen sie pädagogisch gegen die Pommessucht vorgehen. Bei deutschen Mädchen dauert das im Durchschnitt einundzwanzig Jahre, bei Jungen normalerweise dreiundzwanzig. Wird der Jungmann hingegen in Bulgarien, Griechenland oder in der Slowakei geboren, bleibt er bis einunddreißig an Muttis Herd – also so lange, bis er eine andere hat, der er die Schuld am Hüftgold unterschieben kann.
»Meine Frau kocht so gut, kein Wunder, dass ich so dick bin«, klagt er dann gerne und laut, während er sich den dritten Teller füllt und bereits in die Schüssel linst, ob es wohl auch noch für einen vierten reicht. Und wieder hat er nicht ganz unrecht. Gleichgültig ob Männlein oder Weiblein – wer nicht nur gut, sondern auch noch reichlich bekocht wird, muss mehrfach tapfer sein, um rechtzeitig »Halt!« zu schreien. Auch dabei schneiden Männer schlechter ab.
Allein der Blick auf Reste-Schüsseln macht uns nämlich schon gefräßig. Wenn einfach nichts mehr da ist oder der Rest gut versteckt wäre, könnte, so fanden Psychologen heraus, ein Männermagen ohne Leidensgefühle mit 30 Prozent weniger auskommen.
Doch weniger hamstern allein wäre keine Lösung, wenn die Verführung gleich mit am Tisch sitzt. In Sachen Zu-viel-Essen sind wir Nachahmungstäter. Partner, Freunde, Eltern, Geschwister, Kollegen oder Nachbarn zwingen uns unbewusst, ihnen alles nachzumachen, weil wir
dazugehören wollen. Auch dieser Trieb stammt noch aus der Urzeit, als der Verstoß aus der Herde einem Todesurteil gleichkam. Logische Konsequenz: Je dicker die anderen, desto toleranter sind wir gegenüber den eigenen Röllchen und Pölsterchen.
Sollten uns in gesellig-runder Runde doch mal leichte Zweifel überkommen, werden die schnell niedergewalzt. Denn kaum haben wir einen klaren Gedanken gefasst, spüren wir auch schon den Schweinehund wachsen, den die anderen heimlich füttern: »Gönn dir ruhig noch ’ne Extrarunde!«; »Sei doch jetzt kein Spielverderber …«; »Hat ja noch niemandem geschadet.«; »Später machst du eben Diät …«; »Da kommt’s doch jetzt auch nicht so drauf an.« – Man kennt das, frau auch, hund sowieso.
Selbst wer das plumpe Reinquatschen des Schweinehundes unter Kontrolle hat, ist nicht gegen heimliche Saboteure gefeit. Die kommen still durch den Hintereingang, statt mit der Tür ins Haus zu fallen. Zum Beispiel der Sportskumpel, der eigentlich als Motivator angeheuert wurde: »Ab jetzt gehen wir zusammen joggen. Da sagt man weniger leicht ab.« – Stimmt, macht man tatsächlich nicht. Aber was, wenn die Wolken plötzlich
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