Ich mach mich mal dünn - Neues aus der Problemzone
Verhängnis sind. Nippons sind die Fortsetzung meiner Jugendliebe Snickers-Brötchen – nur umgekehrt. Jetzt steckt die Schokolade nicht in weißen Weichteilen wie einst der Schokoriegel im Brot, beim Nippon klebt die braune Süßschicht um Puffreisquadrate herum. Für mich ist die Kombination weiß-braun extrem gefährlich. Denn in diesem vermeintlichen Leichtformat kann ich die Kakaomasse genussvoll in mich hineinziehen, wo sie – anders als pure, schwere Schokolade – locker ihren Weg durch mich hindurchgeht und wegen ihres Fliegengewichts anfangs nicht schwer im Magen liegt. Dort verbreitet sie dann das volle »Ich will mehr«-Aroma. Jedes Nippon verlangt sofort, dass seine Freunde nachkommen, und ist dabei so betörend, dass ich aus der Fassung gerate.
»Wir sind Nippon! Widerstand ist zwechlos!«
Die Verführung fängt – wie so vieles – im Supermarkt an. Harmlos, fürs Erste. Ich stelle fest, dass der Laden mal wieder umgeräumt wurde, und schiebe meinen Wagen auf der Suche nach Walnusskernen hilflos durch die Gegend. Mit Nüssen ist das immer so eine Sache, da sie keine festen Plätze haben: Mal liegen sie zwischen Backpulver und Zucker,
mal bei den Salatkräutern und manchmal auch beim Dosenfutter. Also muss ich suchen – und gerate vom routinierten Weg der guten Vorsätze ab.
Wenn ich dann an einer Regal-Gabelung angelangt bin und zögerlich abbremse, kommt es mir vor, als ob mein Wagen plötzlich Schlagseite bekommt. Steuert da mein Zweites Ich? Werfen die Nippons unsichtbare Fäden aus und ziehen mich zu sich hin? Sind Magnete im Spiel, die die Karre manipulieren und gleichzeitig meinem Hirn die Widerstandskraft entziehen?
Ich verliere für einen Moment das Bewusstsein und komme erst am Nipponregal wieder zu mir. Da sitzen sie dann, lächeln ganz lieb und fangen an zu säuseln.
Nippon 1: »Hi Patric, schön, dass du wieder da bist. Hast dich ja lange nicht sehen lassen.«
Ich will eigentlich sofort weglaufen. Doch auch diesmal muss irgendwo ein Magnet versteckt sein. Wie ferngesteuert bewegt mein Arm sich Richtung Nippon-Nest. Es ist offenbar eine fremde Hand, die zugreift, und mir die Packung einfach zwischen meine Quarkpakete und Naturjoghurtbecher legt. In der Ferne höre ich meine eigene Stimme:
Patric: »Prima, Patric, dass du dich das hier traust. Wird dir guttun. Da kommt ein Stück Kindheit zurück. Du musst ja nicht immer Streber sein. Lös dich mal von deinem Kontrollfreak-Gehabe. Und nimm zu Hause nicht alles auf einmal – immer nur ein bisschen jeden Tag. Dann kommste ‘n ganze Woche mit uns klar!«
Warum auch immer – ich glaube mir. Der Deal ist gemacht. Die kleinen Nippons ziehen bei mir ein. Ein Schlacht-Plan wird ausgearbeitet. Ich kann das, schließlich bin ich kein Kind mehr, das erst mal Mami fragen muss, dann sowieso zu wenig kriegen würde und deshalb lieber gleich heimlich nascht. Jetzt! Ich öffne die Packung! Meine Nippons lächeln. Ich bin froh, dass ich sie habe. Der Moment des größten Glücks steht unmittelbar bevor, die Vorfreude ist auf ihrem Höhepunkt angelangt. Das erste Nippon in der Reihe spricht mich freundlich an. Hinter ihm lugt schon das zweite hervor.
Nippon 1: »Wie viele sollen es denn sein?«
Schwierige Frage. Wieder höre ich mich selbst.
Patric: »Eins wäre angemessen. ›Eins mit Genuss statt viele mit Verdruss‹, lehre ich selbst immer.«
Nippon 1: »Überleg dir das gut. Lohnt das überhaupt? Eins? Was ist das schon? Das ist ja kein Essen, das ist Probieren.«
Ich wende Nippon eins zwischen meinen Fingerspitzen und betrachte es sehr genau. Da ist in der Tat nicht viel dran. Ich hole Nippon zwei aus der Packung und lege es neben Nippon eins auf den Tisch. Sieht schon besser aus. Mit einem dritten könnte ich anfangen zu bauen. Sofort bin ich wieder Kind: Drei Nippons hochkant gestellt ergeben ein Dreieck; übereinandergestapelt sehen sie aus wie ein Mini-Sandwich in Würfelform. Auch nicht schlecht.
Auf jeden Fall wären drei genug, um meinen Magen zur Ruhe zu bringen. Sie könnten zum Sattwerden reichen. »Drei« könnte meine automatische Essbremse sein. – Der andere Patric gibt das Ergebnis meiner Überlegungen an die Nippons weiter.
Patric: »Ich habe mich entschieden. Ich nehme drei.«
Ziemlich entschlussfreudig von mir. Ich werde misstrauisch. Es dürfte wohl besser sein, dass ich mich vor mir selbst schütze. Niemals esse ich nur zwei oder drei, wenn die Verpackung schon offen
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