Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
der Welt einen Skandal ausgelöst hätte. Madame lächelte leicht und hatte das Gesicht von ihren Bewunderern abgewandt, so dass man sie im Profil sah. Es war eine selten arrogante Pose. Zu ihrer Zeit galt diese Frau als große Schönheit. Heute würde sie, statt John Singer Sargent Modell zu sitzen, einen Termin bei Barry machen, wegen ihrer Nase.
»Was würde ich darum geben, von ihr in den weiblichen Künsten unterwiesen zu werden«, sagte Brie.
»Als wenn du das nötig hättest«, erwiderte ich.
»Muss ich dich daran erinnern, dass der letzte Mann in meinem Leben mehr von Norman Bates hatte als von C. G. Jung?«
Bries letzter Verehrer hatte der Bezeichnung
Psycho
analytiker tatsächlich eine ganz neue Bedeutung verliehen. Aber ich hatte gelernt, in Gegenwart von Dr. Wahnsinn nichts zu äußern, was womöglich eine Predigt zum Thema dicke Menschen und wie sie in Amerika die Kosten im Gesundheitswesen in die Höhe trieben, auslösen konnte.
»Egal, ich habe jemand Neues kennengelernt«, sagte Brie, als wir zum nächsten Gemälde gingen.
»Erzähl mir von ihm«, ermunterte ich sie und wandte den Großteil meiner Aufmerksamkeit einem düsteren Abbild vier adrett gekleideter amerikanischer Mädchen zu, die es allein dem glücklichen Umstand ihrer Geburt zu verdanken hatten, dass sie in Paris aufwuchsen und nicht in einer Vorstadt im Mittleren Westen, näher am Elektronikmarkt Best Buy als an einer
boulangerie.
Ich kannte dieses Bild sehr gut. Es war in dem Kurs für Kunstgeschichte besprochen worden, in dem ich Barry kennenlernte.
»Er ist eine Sie«, sagte Brie. »Eine phantastische Frau.«
»Wie bitte?« Ich wirbelte herum. »Wann hast du denn die Fronten gewechselt? In den letzten sechzehn Jahren hattest du, warte mal, höchstens ein halbes Jahr lang keinen Mann. Ich habe immer gedacht, du solltest eigentlich eine Fangprämie bekommen.«
»Höchste Zeit, es mal mit dem anderen Geschlecht auszuprobieren.« Brie strich sich das Haar aus dem Gesicht und versuchte, blasiert dreinzuschauen – was völlig danebenging.
Ich ließ mich auf eine Sitzbank fallen. »Wer ist es?« Eine Risikokapitalanlegerin? Eine englische Adlige? Eine Cartoon-Prinzessin? Und noch viel wichtiger, würde ich sie mögen? Wenn man das Glück hatte, als erwachsene Frau eine beste Freundin zu haben, kam die Aussicht, sie mit einer anderen Frau teilen zu müssen, dem Gefühl der betrogenen Ehefrau unangenehm nah.
»Es ist meine Architektin«, sagte Brie. »Isadora Vega.« Die Silben rollten ihr von der Zunge, als würde sie eine schwere, dekadenteSauce kosten. »Dunkles Haar, große Augen, die fast purpurn sind, noch größerer Verstand,
muy Latina.
«
»Der Typ, den Pedro Almodóvar für die Hauptrolle in einem seiner Filme casten würden?«
»Eine Velázquez-Venus.«
In schweigendem Einverständnis ließen wir die Gemälde Gemälde sein und machten uns auf die Suche nach einem der Cafés des Metropolitan, nicht mal den Museumsshops mit ihren Postern, Regenschirmen und etwas zu witzigen Weinflaschenstöpseln gönnten wir einen Blick. Wie an einer Leine gezogen liefen wir durch die vertrauten Ausstellungsräume. »Ich lade dich ein«, sagte ich zu Brie, als wir eine kleine Cafeteria mit Blick auf den Central Park betraten, in dem im weichen Licht des Spätnachmittags mehr Blätter am Boden lagen als an den Bäumen hingen. Ich zog mein Portemonnaie heraus, kaufte zwei Gläser Weißwein und folgte Brie zu einem Tisch am Fenster – ja, dachte ich, Brie war mir und jeder Frau, die ich kannte, im wahrsten Sinn des Wortes immer einen Schritt voraus.
»Auf … was auch immer«, sagte ich, als wir anstießen.
»Auf angenehme Überraschungen«, sagte Brie und erzählte mir zehn Minuten lang pikante Details ihrer Frauenliebe. Das gemeinsame Einkaufen von Reizwäsche, Zweideutigkeiten, dieselbe Vorliebe für italienische Schuhe.
Ich hörte zu und fragte mich die ganze Zeit, ob ich meine eigene Bombe platzen lassen sollte. Warum nicht? Es war ein Nachmittag wie gemacht für Enthüllungen, und Brie wäre die Letzte, die mich dafür verurteilte, dass ich mich mit einem anderen Mann traf. Und so sagte ich, als mein Glas beinahe leer war: »Da wir schon über Beziehungen reden, ich brauche deinen Rat.«
»Was hat Barry jetzt wieder angestellt?« Brie war etwas erhitzt vor Aufregung und von dem eher mittelmäßigen Chardonnay.
»Es geht nicht um Barry.«
»Ah, dann also Lucy.« Brie, die keine Schwester hatte, hielt Lucy
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