Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
grundsätzlich für schuldig bis zum Beweis des Gegenteils.
»Auch nicht um Lucy«, flüsterte ich verschwörerisch.
»Ich geb’s auf – und nur der Vollständigkeit halber, ich habe schon vermutet, dass irgendwas nicht stimmt.«
»Wieso das denn?« Für die überzeugende Darstellung der zufriedenen Ehefrau, Mutter und Freundin in den letzten Monaten hätte ich einen Oscar als beste Hauptdarstellerin verdient, fand ich.
»Du hast meinen Geburtstag vergessen.«
»Nein!«, rief ich. Doch morgen war Thanksgiving. Brie hatte am 17. November Geburtstag. Vor Monaten schon hatte ich eine antike Lupe an einer Silberkette für sie gekauft. Jetzt fiel mir ein, dass sie immer noch in Geschenkpapier eingewickelt in meinem Schrank lag und darauf wartete, Brie überreicht zu werden, zusammen mit einer Geburtstagskarte, die ich mit einem für einen fünfunddreißigsten Geburtstag passenden Zitat versehen wollte: »Das Leben ist eigentlich ganz einfach, nur wir müssen immer alles so kompliziert machen.«
»Ich musste mit Isadora feiern«, sagte Brie. »Ein Cocktail nach dem anderen. So kam die Sache ins Rollen. Es ist also alles deine Schuld!«
Nachdem ich mich wortreich für mein Versäumnis entschuldigt hatte, beschrieb Brie mir überschwänglich den ersten Kuss der beiden und wie Isadora bei ihr übernachtete. Dann noch mal. Und noch mal. Und jetzt zog sie ein.
»Aber genug von mir –
du
wolltest doch was erzählen«, sagte Brie irgendwann. »Was ist los?«
Es tat mir schon leid, dass ich überhaupt etwas gesagt hatte. Brie war viel zu sehr von ihrer neuen Liebe gefangen genommen, ganz mit sich selbst beschäftigt. Ich misstraute nicht allein ihrem Urteil in diesem Zustand, sondern wollte auch nicht unfair sein und ihr strahlendes Glück dämpfen. Und wenn ich meine Beziehung mit Luke für mich behielt, konnte ich mich weiter der Illusion hingeben, dass wir beide in einem Weichzeichner-Paralleluniversum der Liebe existierten. Genau an dem Ort wollte ich bleiben. Wäre da nicht diese Sache mit den Fotos, die ich mir angesehenhatte und für die Brie – wie ich noch vor fünfundzwanzig Minuten dachte – vielleicht eine Erklärung hatte.
»Molly, was ist los?«, wiederholte sie.
»Ach, gar nichts.«
»Molly?«
»Okay, okay. Ich treffe mich mit einem anderen Mann.« Mein Blick war auf einen fast kahlen Baum geheftet, und ich hätte schwören können, dass da eine andere Frau sprach. »Es ergab sich einfach so.« Ich fühlte mich wie eine Vollidiotin.
Brie stieß einen leisen Pfiff aus. »Also doch. Seit wann?«
»Seit einer Weile.«
»Verstehe. Du willst keine Einzelheiten nennen. Aber sei fair – erzähl mir … irgendwas.«
Ich holte tief Luft, ehe ich drauflosredete. »Er gibt mir das Gefühl, die begehrenswerteste Frau der Welt zu sein. Wenn ich mit ihm zusammen bin, fühle ich mich schön und unglaublich klug.«
»Wie sieht er aus?«
»Wie ein irischer Poet.« Brie nickte anerkennend. »Er nimmt mir all meine Ängste, all meine Befürchtungen.«
»Andere Frauen müssen für so was shoppen gehen.«
»Und habe ich den Sex schon erwähnt?«
»Sieh an, sieh an, meine beste Freundin hat was nebenbei laufen. Ist es jemand, den ich kenne?«
»Nein!«, log ich. »Frag nicht nach Details. Bitte. Und hör auf zu lächeln – das ist nicht so komisch, wie du vielleicht denkst.«
»Warum wirfst du mir gerade jetzt diese interessanten Brosamen hin?«
Brie nahm meine Beichte nicht annähernd so ernst, wie ich gehofft und erwartet hatte. Ich wollte nicht zugeben, dass der Impuls, von Luke zu erzählen, wohl auf den albernen Wunsch zurückzuführen war, zu zeigen, dass auch ich einen waghalsigen Zug hatte und alles für die Liebe aufs Spiel setzte.
»Du hast doch nicht vor, Barry zu verlassen?«, fragte Brie. Die Worte
hoffe ich
hingen unausgesprochen in der Luft.
»Keineswegs«, sagte ich. »Ich habe mir nie vorgestellt, mit …« –
mit meinem Liebhaber
zu sagen, erschien mir etwas zu hochtrabend, ich spielte hier ja nicht in einem italienischen Film mit – »… mit diesem Mann zusammenzuleben, so gern ich ihn auch habe.« Ich hatte ihn sogar sehr gern, etwas, das Brie offenbar nicht begriff. »Er ist nicht nur eine Affäre.«
Die Nachmittagssonne war untergegangen, und ich konnte mein Spiegelbild, angespannt und zitternd, in der Fensterscheibe sehen.
Brie schwieg, minutenlang, wie mir schien. »Du fragst nicht, was ich davon halte. Aber ich nehme an, deshalb hast du dieses Thema
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