Ich, Molly Marx, Kuerzlich Verstorben
kein Durchbruch.«
Nachts verfolge ich ihn bis in seine Träume, in denen ich ihn inständig bitte, die Umstände meines Todes aufzuklären. Los, Hicks, fordere ich, machen Sie schon! Ich zähle auf Ihren Hiawatha-Indianerspürsinn. Irgendwer muss doch die Gründe dafür herausfinden, dass ich bereits in die Ewigkeit eingegangen bin. Ich kann nur hoffen, dass da unten auf der Erde wenigstens Sie – ja, vielleicht Sie allein – die Wut spüren, die mich genauso umtreibt wie meine Schuldgefühle, mein Schmerz, meine Sehnsucht.
In unruhigen Nächten wacht Hicks mehrmals auf, dann liest er in dem Buch, das er gerade aus der Bücherei ausgeliehen hat – diese Woche ein Roman von Cormac McCarthy –, oder er starrt einfach an die Decke oder aus dem Fenster zu der Bodega hinüber, wo sein Freund Marco Lotterielose verkauft. Wenn er am nächsten Morgen beim Rasieren einen Blick in den Spiegel wirft und merkt, wie schlecht er aussieht, redet er meist mit mir. »Molly Marx, sagen Sie mir, was passiert ist. Es muss doch irgendeine Antwort geben.« Dann kauft er bei Marco seine beiden Zeitungen, fährt mit dem Zug ins Büro und denkt immer noch dasselbe, während er versucht, sich auf die ›New York Post‹ und die ›New York Daily News‹ zu konzentrieren. Im Revier angekommen kocht er erst mal eine Kanne Kaffee, geht die Akten durch, hört, was Detective Gonzalez und die anderen kleinen und großen Häuptlinge um ihn herum so meinen, und erledigt weitere Anrufe, weitere Termine. Alle paar Tage geht er am Fluss entlang und hofft, doch noch einen Beweiskrümel zu finden, der ihn zu einer Antwort führt.
Hicks braucht dringend eine Chance.
»Kein Problem«, sagt er zu Brie. »Treffen wir uns bei Charlie, dem Käsehändler.« Charlie ist zwar ein Provinzler aus Rensselaer County, kann aber problemlos Emmentaler von Gruyère unterscheiden.
»Dann bis gleich«, erwidert Brie.
Wenn man am Samstag über den großen Markt auf dem Union Square spaziert, kann man schon riechen, welche Gerichte am Abend gekocht werden. Ich hatte ganz vergessen, wie gut es mir hier gefällt. Ach, wie oft bin ich mit dem Fahrrad hierhergeradelt und habe meinen Korb randvoll gefüllt: mit knusprigen Brotlaiben, zuckersüßem jungem Gemüse, knackigem Salat, an dem noch gute schwarze Erde klebte; saftigen Tomaten; Haferflocken-Rosinen-Keksen, so groß wie meine Hand; und immer mit einem riesigen Strauß der Blumen, die mir gerade am lautesten »Kauf mich! Kauf mich!« zuriefen. Die Familie Marx hat stets sehr gut gegessen, wenn ich auf dem Greenmarket gewesen bin.
Hicks ist früh da, so wie ich. Außer Dienst, in Cordhosen und Stiefeln, sieht er sogar noch edler aus als in seinen gut geschnittenen Anzügen. Er begutachtet sieben verschiedene Sorten Kartoffeln und kauft schließlich die länglichen goldgelben »Fingerlin ge «, die er sich selbst einzeln heraussucht.
»Was macht man denn damit?«, fragt Brie, die plötzlich neben ihm steht. Sie hält die Hundeleine fest in der Hand, doch Jones gelingt es trotzdem, hochzuspringen und auf Hicks’ dicker grauer Strickjacke den Abdruck einer schmutzigen Hundepfote zu hinterlassen. »Entschuldigen Sie«, sagt sie und zerrt Jones zurück, während sie versucht, den Schmutz abzuklopfen.
Hicks spürt einen Funken von … etwas.
So ein Pech, dass sie auf Frauen steht,
denkt er.
Vergiss es am besten gleich wieder.
»Der Kerl braucht dringend einen Benimmkurs«, sagt Brie.
Hicks lacht. »Brauchen den nicht die meisten Männer?« Er streichelt Jones’ weiches Fell. »Magst du Kartoffeln, hm?«
»Der mag alles. Wahrscheinlich wird er mal ein Nilpferd, wenn er ausgewachsen ist.«
Wohl kaum, denkt Hicks. Wieder einmal fällt ihm auf, wie sehr sich Halter und ihre Hunde oft gleichen. Dieser junge Labrador wird mal schlank und langbeinig sein, so wie Brie Lawson selbst, die in verblichenen Levi’s und Weste längst nicht sospröde wirkt wie in ihrer üblichen Anwaltskluft. »Kommen Sie«, sagt Hicks. »Ich brauche noch frische Kräuter, um die hier zu rösten.«
»Von so was habe ich keine Ahnung«, erwidert Brie.
»Das kann ich kaum glauben, eine kluge Anwältin wie Sie.«
»Tja, was nicht auf meiner Examensliste stand …«
»Sie haben mir also etwas zu erzählen«, sagt Hicks und führt Brie und Jones zu einem kleinen Stand mit hübschen Sträußchen Rosmarin, Oregano und Thymian. Er hält Brie einen Rosmarinzweig unter die Nase, sie atmet den erdigen Duft tief ein.
»Ich glaube, es ist
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